: Heinz Rudolf Kunze rockt Herrn Jesus
Zwei, die sich gefunden haben: Deutschlands öligster Rockveteran hat die Hymne für den Evangelischen Kirchentag in Hannover geschrieben. „Mehr als dies“ heißt sie. Gestern wurde sie offiziell vorgestellt
aus HannoverDaniel Wiese
„Was hab ich hier zu suchen? / Was hab ich hier verloren? / Wenig Feuer, zu viel Rauch“ sang Heinz Rudolf Kunze in einem lichten Moment.
Eine Selbsterkenntnis, die ihn dann schnell wieder verlassen haben muss. Das Produzieren von Rauch blieb die Lieblingsbeschäftigung des Lautsprechers der deutschen Rockmusik, der, wenn er nicht gerade öffentlich eine Quote für deutschsprachige Musik anmahnte, damit beschäftigt war, sich in der Enquetekommission „Kultur in Deutschland“ „einzubringen“ (Kunze über Kunze). Denn mit Kultur kennt er sich aus.
25 Jahre singt Kunze nun schon seine Lieder, und es ist kein Ende abzusehen. Logischer Höhepunkt seiner Karriere, die er im Dezember mit einem „Rockpalast“-Konzert in Hannover feierte, ist der Song für den 30. deutschen Evangelischen Kirchentag, der vom 25. bis 29. Mai in Hannover stattfindet. „Kirchentage sind ja inzwischen woodstock-artige Events geworden“, deutete Kunze gestern bei der offiziellen Vorstellung des Songs in Hannover die irre Hoffnung an, dass er nach mehr als 220 Liedern, an die man sich nur schwer erinnert, doch noch in die Popgeschichte eingehen könnte.
Höchst woodstock-mäßig hatte sich Heinz Rudolf Kunze für die Live-Präsentation seines Songs in einen Nadelstreifenanzug geworfen, das Goldkettchen um seinen Hals signalisierte aber dennoch eine gewisse Lässigkeit. Die Zeile „mehr als dies“ habe er bereits im Kopf gehabt, plauderte er auf Nachfrage des gut gelaunten, hundert Prozent TV-kompatiblen Veranstaltungs-Moderators aus. Wie er von da zu den dunklen Zeilen „mehr als jetzt und mehr als hier / mehr als dies / und mehr als wir“ gefunden hat, fragte leider niemand. Es wird das Geheimnis des Dichters bleiben, auf dessen Homepage zu lesen ist: „Heinz Rudolf Kunze schreibt auch Texte“. Das Wort Text bezeichnet in der Wissenschaft einen zusammenhängenden Bereich geschriebener Sprache, der einfach oder auch komplex strukturiert sein kann. Ein sehr, sehr dehnbarer Begriff also.
Vollprofi, der er ist, hatte der letzte Dichter unter Deutschlands Rockmusikern das Publikum aus Kirchenmenschen, Politikern und Sicherheitsbeamten von der ersten Sekunde an eingeseift. Als Hauptwaffe dient ihm dabei die gewohnt nölige Stimme, die tausendfach verstärkt nur wenig Raum für den Kirchenchor im Hintergrund ließ. Die Kirchenchorsänger öffneten und schlossen ihre Münder, aber gegen Kunze und seine Band hatten sie keine Chance. Dafür boten sie in ihren blauen Schals eine Möglichkeit, sich optisch auf den Kirchentag einzustellen. Kein schöner Anblick, aber einer, der hart macht.
Womöglich sang Kunze bei der Live-Präsentation sogar noch eine Spur engangierter als auf der zeitgleich verteilten CD. Vor allem bei der Stelle „Was man ganz tief drinnen spürt“, wo das Lied einen überraschenden Akkordwechsel hinlegt, modulierte Kunze sehr gefühlvoll, um dann beim Refrain beide Hände nach oben zu kehren, als ob er der Gemeinde seinen Segen spenden wollte. „Ich war, bevor ich das Lied geschrieben habe, als evangelischer Christ doch eher eine wohlwollende Karteileiche“, hat Kunze in einem vorab geführten Kircheninterview verraten. Er sagte wirklich „bevor ich das Lied geschrieben habe“, was ja irgendwie bedeutet, dass es jetzt, nachdem er das Lied geschrieben und sogar gesungen hat, mit seinem Glauben besser steht.
„Ich finde, dass es keineswegs etwas Althergebrachtes, Überholtes ist, zu seinem Glauben zu stehen“, faselt Kunze im selben Interview weiter. „Die Zugehörigkeit zum Christentum ist doch eine ganz wichtige Sache. Sie ist mir mehr wert als diese allgemeine Beliebigkeit vieler Menschen, die sich für modern halten.“
Heinz Rudolf Kunze ist ein Kämpfer gegen die moderne Beliebigkeit, er schließt die Augen und singt sein Lied, wenn es sein muss auch in Gegenwart des niedersächsischen Ministerpräsidenten Christian Wulff und der Landesbischöfin Margot Käßmann. Sie alle sind Christen, die Bischöfin ja schon von Berufs wegen, und sie stehen dazu. „Christsein“, sagte Käßmann dem gut gelaunten Moderator ins Mikrofon, „ist nicht was Muffiges von gestern, sondern ganz lebendig.“
So lebendig wie Heinz Rudolf Kunze, der sich danach in seinem Nadelstreifenanzug von den Fotografen ablichten ließ. „Lieder, die ich noch summe, wenn ich abends nach Hause komme“, hatte sich Landesbischöfin Käßmann für den Kirchentag gewünscht.
Die Lieder, so die Bischöfin, sollten „spirituell, aber auch peppig sein“. Das alles ist die Musik von Heinz Rudolf Kunze. Er und der Deutsche Evangelische Kirchentag sind zwei Welten, die einander verdient haben.