Die Söhnlein spielen

„Es gibt mehr schwule Fußballer als schwule Balletttänzer“, hat der türkische Balletttänzer und Schauspieler Tan Sagtürk kürzlich behaupet. In der Türkei hat das eine hitzige Debatte ausgelöst

AUS ISTANBUL TOBIAS SCHÄCHTER

Angestoßen wurde das heiße Thema von Tan Sagtürk, und die Gemüter erhitzten sich schnell daran. „Es gibt mehr schwule Fußballer als schwule Balletttänzer. Ich weiß das, weil ich Freunde habe“, hatte der bekannte Balletttänzer, Schauspieler und Playboy unlängst gesagt und damit eine Debatte ausgelöst, die sich schnell auch in den Zeitungen wiederfand. „Kann es wirklich schwule Fußballer geben?“, fragten die ebenso ungläubig wie in großen Buchstaben. Der Aufschrei war groß im Land.

Als Erster aus der Branche meldete sich Turgay Seren zu Wort, der Präsident der Vereinigung Professioneller Fußballer der Türkei und ehedem Torwart der Nationalmannschaft. Seren erwog Sagtürk vor Gericht zu ziehen, wenn dieser nicht die Namen nenne. Er könne nicht glauben, so Seren, dass es Spieler gebe mit derlei „üblen Charakteristika“. Galatasarays Nationalspieler Nescati Ates, 25, wiederum meinte, Sagtürk müsse selbst schwul sein, sonst könnte er so ja nicht reden. Als lautstarker Eiferer wider Sagtürks Behauptung tat sich auch Tanju Colak hervor. Der ehemalige Stürmer, dessen 240 erzielte Liga-Tore immer noch Rekord bedeuten, schoss scharf: „In all den Jahren habe ich keinen einzigen schwulen Spieler kennen gelernt. Und würde ich einem begegnen, würde ich ihn sofort erkennen“, behauptete die Fußballerlegende im Fernsehen. Auch Colak, bereits ein Star, als der türkische Fußball noch in einem Atemzug mit Malta genannt wurde, forderte Sagtürk auf, Namen zu nennen. Unter den aktiven Fußballern gab es aber auch aufgeklärte Stimmen wie die des aus Berlin stammenden Ümit Karan von Galatasaray. Der 28-jährige Stürmer merkte an: „Wenn es schwule Fußballer gibt, ist das deren Privatsache.“

Gerade am Beispiel Colaks lässt sich die Doppelmoral aufzeigen, mit welcher das Thema Homosexualität in der Türkei behandelt wird. Der verheiratete Torjäger, einst wegen Autoschmuggels im Knast, hatte vor Jahren eine von den Klatschblättern des Landes gerne begleitete Affäre mit einer Schauspielerin. Die Liebelei mit der Aktrice aber konnte Colaks Popularität keinen Abbruch leisten, obwohl der Islam Ehebruch ebenso als Sünde ansieht wie Homosexualität.

In der zu 99 Prozent von Menschen islamischen Glaubens bevölkerten Türkei ist Homosexualität nach wie vor ein Tabuthema. Schwule vermeiden es, sich offen zu ihrer Homosexualität zu bekennen. Die Schande würde die ganze Familie treffen und der Geoutete von dieser verstoßen, erklären Schwule. Das türkische Wort für schwul lautet „ibne“, leitet sich vom arabischen Wort „ibn“ (der Sohn) ab und bedeutet: Söhnlein. Im übertragenen Sinne bedeutet „ibne“ also die Absenz von Männlichkeit – einen schlimmeren Vorwurf kann man einem türkischen Mann nicht machen. Unter türkischen Jugendlichen ist „ibne“ als Schimpfwort gängig, und in Fußballstadien ist das Wort oft als ein Ausdruck der größten Verachtung in den Schmähgesängen der Fans zu hören.

Diskussionen um Schwule im Fußball gibt es auch in anderen Ländern immer wieder, auch in Deutschland. Das Besondere an der Debatte in der Türkei aber ist, dass Männer wie Colak, Seren und andere ihre diskriminierenden Äußerungen machen, ohne dass sich nennenswerter gesellschaftlicher Widerstand regt. In der Realität der vom Islam geprägten laizistischen Türkei provozieren schwulenfeindliche Äußerungen keinen Aufschrei. Ganz im Gegenteil: Es besteht Konsens, dass Schwulsein „ayip“ ist – also Schande.

Der Publicity-erfahrene Tan Sagtürk aber fand einen eleganten Weg, sich aus der Affäre zu ziehen. Der gewiefte Schönling sagte nach Tagen erregter Debatte, die schwulen Fußballer, die er kenne, seien keine Türken – sondern Franzosen. Und siehe da: Die Diskussion schien von heute auf morgen beendet. Nicht ganz: Einige Zeitungen druckten kurz darauf ein Bild des ehemaligen Besiktas-Spielers Pascal Nouma. Darauf war zu sehen, wie der Franzose einen Treffer gegen den Erzrivalen Fenerbahce feiert: Seinen nackten Astraloberkörper zeigt er stolz der Welt, mit der rechten Hand winkt er in den Block der Fener-Fans, während er sich mit der linken ans Geschlecht greift. Nouma schwul? Die Leser konnten sich ein Lachen nicht verkneifen. Galt Nouma doch in seiner Besiktas-Zeit als Berufshetero, der mehr Stunden in den Discos am Bosporus als auf dem Trainingsplatz verbrachte. „Disco-Nouma“ musste seine obszöne Geste übrigens teuer bezahlen. Besiktas kündigte seinen Vertrag und der türkische Fußballverband sperrte ihn sieben Monate lang: wegen Verletzung der türkischen Werte- und Moralvorstellungen.