Natürlich liebe ich ihn

Ganz nah dran ist doppelt verfehlt: Oliver Stone, der Fachmann für große Männergestalten, hat den Revolutionsführer Fidel Castro in Kuba besucht und den Dokumentarfilm „Comandante“ mitgebracht

VON ANNETT BUSCH

Aus gebührender Distanz umkreist eine wackelige Kamera ein wie zufällig herumstehendes Grüppchen. Leute laufen durch die weitläufige Säulenhalle, manchmal bleiben sie im Bild stehen. Mit dem Licht scheint sich niemand Mühe gegeben zu haben. Das Arrangement wirkt improvisiert, fast unprofessionell. An der Situation jedoch ist wenig zufällig. Die da zusammenstehen, sind Fidel Castro, seine Übersetzerin und Oliver Stone. Und zum ersten Mal kehrt so etwas wie Ruhe ein, obwohl „Comandante“, der Dokumentarfilm von Oliver Stone über Fidel Castro, schon eine Stunde läuft.

Eine Menge hektischer Schnitte und Zooms auf die Augenbrauen Fidel Castros, auf seine Hände, Schuhe und Falten haben wir schon hinter uns. Kaum fängt Castro an zu reden, sehen wir entweder einen nachdenklich dreinschauenden Fidel oder einen der vielen Kameramänner, Oliver Stone oder einen weiteren Schnipsel Archivmaterial. Die Chance, dem legendären Sechs-Stunden-Redner beim Reden zuzusehen, gibt es während der 99 Minuten von „Comandante“ so gut wie nicht, obwohl Castro fast ständig redet und Basis und Ausgangspunkt des Films genau das ist: Reden.

Erschöpft sei Oliver Stone nach „Any Given Sunday“ gewesen; aus Hollywood habe er sich zurückziehen wollen. Da kam das Angebot, sich einen Jugendtraum zu erfüllen und Fidel Castro zu treffen. Dreißig Stunden Interview innerhalb von drei Tagen gewährte der kubanische Politiker der Crew. Das war im Februar 2002, und Oliver Stone setzte sich ein so ehrgeiziges wie naives Ziel: Den „Menschen hinter der Ikone“ wollte er finden. Möglicherweise hat er deshalb seine Kameramänner angewiesen, dem erfahrenen Rhetoriker beim Reden eben nicht den gewohnten Raum zu lassen, sondern während längst erprobter Argumentationsketten eine andere Wahrheit über Augen und Gestik zu erhaschen. Doch die aufgeregte Kamera dringt nicht unter die Haut.

Politik und Geschichte anhand großer Männer zu inszenieren und zu interpretieren, ist bei Oliver Stone nichts Neues. Nun ist er zum ersten Mal richtig nah dran, physisch. Er arbeitet seinen Fragenkatalog durch und inszeniert sich auf Augenhöhe, mal stirnrunzelnd, mal kumpelhaft scherzend. Man mag ihm das gönnen, es hätte auch spannend sein können. Das Problem ist nur, dass der Film sich in Angeberei erschöpft: Schaut her, ich hab Fidel Castro getroffen! Zugleich will Stone nichts Geringeres als die Geschichte Kubas in 99 Minuten erzählen. Zwischen den beiden Ansprüchen klafft ein Loch. Stone füllt es mit unzähligen Metern Archivmaterial, rasant geschnitten, doch man wird den Eindruck der Wahllosigkeit nicht los. Oliver Stone hat es verpasst, aus der Begegnung eine eigene Geschichte zu machen.

Lob hat Oliver Stone für sein Unterfangen kaum geerntet. Man hat ihm vorgeworfen, mit dem Diktator zu nett umgegangen zu sein. Andere nörgelten am Style. Zwei Monate bevor „Comandante“ im Mai 2003 auf dem amerikanischen Privatsender HBO ausgestrahlt werden sollte, rückte Kuba mit einem neuen Skandal ins Zentrum der Empörung. Der große „Crackdown“ – so wurde das Verfahren genannt, bei dem 75 politische Dissidenten – unter ihnen einige Journalisten – festgenommen und zu teilweise 25-jährigen Gefängnisstrafen verurteilt wurden. Etwa zeitgleich wurden drei Männer, die ein Fährschiff entführt hatten, nach einem Blitzverfahren hingerichtet. Statt „Comandante“ zu zeigen, schlug HBO vor, Oliver Stone solle erneut nach Kuba reisen, um herauszufinden, was tatsächlich geschah. Castro gewährte erneut dreißig Stunden Interview innerhalb von drei Tagen, und Oliver Stone drehte „Looking for Fidel“. Diesmal bemühte er sich um Ausgewogenheit; interviewte Abtrünnige, die nicht inhaftiert wurden, befragte die Gattinnen der Gefängnisinsassen. „Ich bin zwar kein Journalist, habe aber versucht, ein möglichst umfassendes Bild der gegenwärtigen Situation auf Kuba zu zeigen“, schreibt Stone auf der HBO-Homepage zu „Looking for Fidel“.

Bis zur Begegnung in der Säulenhalle haben die Herren Castro und Stone vor allem über Politik, Geschichte und die Revolution diskutiert. Nun will der Filmemacher endlich aufs Private hinaus. Ob es nun Zufall ist oder eine der wenigen gelungenen Absprachen, dass die Kamera ausgerechnet jetzt auf Distanz geht? Recht unvermittelt fragt Stone: „You must love her, she is almost your wife – your mind is …“ Dazu macht er eine wischende Handbewegung. Die Übersetzerin übersetzt, und Castro fragt: „She?“ „Who is she?“ – „Ich“, sagt die Übersetzerin und lächelt. „Of course I love her“, sagt Castro. „What do you mean by that?“

Dreißig Jahre übersetzt sie nun schon für Fidel Castro, kennt seine Argumentation genau und hat manchen Gedanken zu Ende übersetzt, bevor der Chef ihn ausgesprochen hat. Oliver Stone lässt nicht locker: „Aber was ist mit dem Herzen?“ Das Private von der Öffentlichkeit fern zu halten, sei ein bewährtes Prinzip, kontert Castro. „Um ehrlich zu sein, das Konzept der First Lady erschien mir schon immer ziemlich lächerlich.“ Das Grüppchen hat sich wieder in Bewegung gesetzt. Beim Gehen wird auch die Übersetzerin gefragt. „Of course I love him, too“, antwortet sie mit beiläufiger Selbstverständlichkeit.

Das Schauspiel dauert an, Oliver Stone lässt nicht locker, doch er scheitert an dem Kapitel „Fidel und die Frauengeschichten“. Zugleich gibt Castro freimütig zu, ein Leben voller Liebe gelebt zu haben. Das Heiraten habe er gern vermieden. „Einmal war genug.“ Das Spannende an der Situation, so unscheinbar und nebensächlich sie auch wirken mag, ist, am Fragespiel teilzuhaben, zu sehen, wie Stone mit seinem Vorstellungsvermögen ins Leere läuft und dem Staatsmann genauso wenig beikommt wie die besonders originell wackelnden Kameras. So sympathisch Fidel Castro hier auch wirken mag, so wenig hat das damit zu tun, den Menschen hinter was auch immer gefunden zu haben. Diese Illusion von vornherein zu überspringen, wäre wohl der erste Schritt zu einem besseren Film gewesen.

„Comandante“. Regie: Oliver Stone. Dokumentarfilm, USA/Spanien 2003, 99 Min.