„Bush sollte schweigen“

INTERVIEW BERND PICKERT

taz: Frau Bogert, Ihr neuer Jahresbericht beginnt mit einer so harschen Kritik am Verhalten der US-Regierung, wie ich sie von Human Rights Watch in den letzten Jahren nicht gelesen habe. Ist die Lage so viel dramatischer geworden?

Carroll Bogert: Seit vielen Jahren ziehen sich die USA aus dem Konsens des internationalen Regelwerks zurück, und vor diesem Trend warnen wir schon lange. Das hat auch nicht mit der Bush-Regierung angefangen, hat sich aber dieses Jahr schärfer und mit den Fotos aus Abu Ghraib auch dramatischer entwickelt. Etwa der Internationale Strafgerichtshof (ICC): Die USA haben zunächst versucht, sich selbst der Zuständigkeit des Gerichtshofs zu entziehen – seit Bushs Amtsantritt versuchen sie, den Gerichtshof zu zerstören. Es wird spannend sein, das US-Verhalten zu beobachten, wenn am 25. Januar die UN-Untersuchungskommission über Darfur dem Sicherheitsrat berichtet. Die USA haben sich ja sehr kraftvoll zum Sudan geäußert, sie haben sogar von einem Völkermord gesprochen. Werden sie es jetzt zulassen, dass der Bericht der Untersuchungskommission an den Internationalen Strafgerichtshof verwiesen wird?

Und? Werden sie?

Ich weiß es nicht. Wenn sie es verhindern, sieht das nicht gut aus. Stimmen sie aber zu, unterstützen sie indirekt den ICC.

Die Alternative wäre ein neues Adhoc-Tribunal?

Oder eine Ausdehnung des Mandats des Ruanda-Tribunals – beides keine guten Ideen.

Europäische Unterstützer des Internationalen Strafgerichtshofs haben bislang immer gegenüber den USA argumentiert, der ICC sei doch gar nicht für sie geschaffen, sondern für Diktatoren, für Kongo, für Ruanda – die Befürchtungen der USA, ihre Soldaten könnten in Den Haag vor Gericht gezerrt werden, seien aus der Luft gegriffen. Kann man das heute, nach Abu Ghraib, noch so sagen?

Ja, sicher. Die USA haben ein funktionierendes Rechtssystem.

Aber Human Rights Watch kritisiert doch selbst, dass die Prozesse in Sachen Abu Ghraib nicht über die unterste Stufe der unmittelbar beteiligten Soldaten hinausgehen.

Der immer angeführte Präzedenzfall ist Leutnant Willam Calley, der Verantwortliche des My-Lai-Massakers in Vietnam. Würde so jemand, der in den USA nur eine überaus milde Strafe erhielt, vor den Internationalen Strafgerichtshof gestellt werden? Ich glaube nicht. Wenn die USA beim ICC mitmachen würden, hätten sie genügend diplomatischen Einfluss, dass der Chefankläger des ICC seine Zeit kaum mit solch einem eher aussichtslosen Verfahren verbringen würde.

Aber mit den Kriterien des ICC gesprochen: Die US-Justiz scheint doch tatsächlich unwillig, Abu Ghraib vollständig aufzuklären.

Die Strafverfolgung scheint tatsächlich bei Charles Graner und dem Fußvolk aufzuhören. Wir sind überzeugt, dass die Verantwortung die Befehlskette hinaufreicht. Ich weiß nicht wie weit – aber das muss man herausfinden. Deshalb fordern wir heute in New York die Ernennung eines Sonderermittlers in den USA, der genau diese Fragen untersucht.

Glauben Sie, dass Sie mit dieser Forderung Erfolg haben?

Wir sind nicht naiv – wir wissen, dass die Republikaner das Weiße Haus und den Kongress kontrollieren und dass der designierte Justizminister Alberto Gonzales dank seiner Foltergutachten selbst Teil des Abu-Ghraib-Skandals ist. Aber die Forderung ist trotzdem richtig.

Ist denn die US-Gesellschaft noch empfänglich für die Botschaft von Menschenrechtsorganisationen?

Da muss man nicht die Hoffnung verlieren: Es wäre sicher falsch, aus dem Ergebnis der Präsidentschaftswahlen den Schluss zu ziehen, die Amerikaner interessierten sich nicht für den Rest der Welt. Aber es stimmt andererseits auch, dass das Umfeld für Debatten über Menschenrechtsfragen schlechter geworden ist. Die Balance zwischen Sicherheit und Freiheit hat sich nach dem 11. September verschoben. Es gibt jetzt in den USA – wie ja wohl übrigens auch bei Ihnen in Deutschland – plötzlich wieder eine ernsthafte Debatte darüber, ob Folter unter bestimmten Umständen erlaubt sein könnte. Das wäre vor zehn Jahren undenkbar gewesen.

Zeigen die Diskussionen in der Öffentlichkeit über dieses Thema – auch wir haben eine Menge entsprechende Leserbriefe beim Fall Daschner erhalten – nicht, dass es bestimmte Prinzipien gibt, die sich die Gesellschaft nie wirklich zu Eigen gemacht hat?

Internationales Recht und Menschenrechtsnormen sind wie die Fäden eines Spinnennetzes – sie sind sehr dünn. Wenn man sie angreift, öffentlich in Frage stellt oder den eigenen Soldaten das Gefühl gibt, die Genfer Konventionen seien nicht so wichtig, dann richtet man ziemlich schnell Schaden an.

Und daran sind vor allem die USA schuld?

Nicht nur. In Europa hat sich etwa die Praxis eingebürgert, dass Verdächtige auch in Länder ausgeliefert werden, in denen gefoltert wird, wenn deren Regierungen diplomatisch augenzwinkernd versichern, den Betreffenden nicht zu foltern. Das ist nach der Internationalen Folterkonvention komplett illegal und beschädigt diese dünnen Fäden der internationalen Menschenrechtsvereinbarungen genauso.

Kenneth Roth schreibt in seinem Essay, es sei auffällig, dass die Menschenrechte im außenpolitischen Diskurs der Vereinigten Staaten kaum noch auftauchen. Freiheit und Demokratie werden genannt – Menschenrechte immer seltener.

Das ist vielleicht gar nicht so schlecht. Wann immer Bush in Bezug auf den Nahen und Mittleren Osten über Menschenrechte spricht, zucken wir alle zusammen. Wenn der Begriff der Menschenrechte mit einer aggressiven Militärstrategie assoziiert wird, der im Mittleren Osten mit Ablehnung und Wut begegnet wird, dann tut das der Idee nicht gut.

Das heißt, Sie sind froh darüber, wenn Bush möglichst wenig von Menschenrechten spricht?

So lange sich die Politik nicht ändert: ja.

Der zweite Schwerpunkt in Ihrem neuen Bericht ist die Region Darfur im Sudan. Wie andere Menschenrechtsorganisationen auch fordern Sie ein sofortiges Eingreifen der Internationalen Gemeinschaft. Was aber aus Ihren Texten spricht, ist totale Frustration.

Stimmt.

2005 soll ja das Jahr der Entscheidungen über die Reform der Vereinten Nationen sein. Glauben Sie, dass da Veränderungen möglich sind, die so ein Nichtstun zukünftig verhindern?

Für Darfur käme das zu spät – die Menschen dort hätten die Hilfe eigentlich schon vor mindestens sechs Monaten gebraucht. Wir können nicht auf UN-Reformen warten. Es scheint, als ob sich der Sicherheitsrat darauf zurückziehen wolle, Darfur zu einem afrikanischen Problem zu erklären, dass durch die Afrikanische Union gelöst werden soll. Die aber ist eine neue Organisation, die das nicht leisten kann, jedenfalls nicht allein. Sie braucht Ressourcen und Unterstützung von außen.

Aber noch mal: Kann die UN-Reform Verbesserungen für die Zukunft bringen?

Ich bin nicht sehr optimistisch. Das internationale Klima ist nicht gerade günstig für Neuverhandlungen über den Zuschnitt internationaler Institutionen. Es gibt eine solche Feindseligkeit zwischen UN-Verantwortlichen und der US-Regierung, dass es schon Besorgnis erregend ist. Natürlich könnten wir uns eine bessere UNO vorstellen. Aber wenn etwa die Reformkommission vorschlägt, die UN-Menschenrechtskommission dahingehend zu verändern, dass künftig jedes UNO-Mitglied automatisch auch der Menschenrechtskommission angehört, dann ist das der Weg zu einem kompletten Desaster. Wir wollen die Kommission so verändern, dass am Schluss eben nicht Libyen den Vorsitz haben kann, was ja absurd ist.

Darfur wirft ja erneut einige Prinzipienfragen auf. Human Rights Watch proklamiert, in Fällen schwerster Menschenrechtsverletzungen oder Völkermord habe die Internationale Gemeinschaft die Pflicht zur Intervention. Dagegen steht das Prinzip staatlicher Souveränität, das gegen Interventionen ins Feld geführt wird. Kann das in Zukunft irgendwie zusammengehen?

Es wäre ein Missverständnis, wenn man Menschenrechte als Feind nationaler Souveränität darstellte. Aber es gibt Verbrechen, die so schwer wiegend sind, und menschliches Leid, das so unerträglich ist, dass die Souveränität verletzt werden muss, um die Menschen zu schützen. Die Frage ist stets: Wann ist dieser Punkt erreicht, und wer macht es? Die Idee humanitärer Intervention ist in der Vergangenheit missbraucht worden – die Bush-Regierung hat im Irak keine Massenvernichtungswaffen gefunden und im Nachhinein versucht, den Irakkrieg als humanitäre Intervention umzudeuten. Das ist Unsinn: Als im Irak ein Völkermord stattfand, der eine Intervention im Prinzip gerechtfertigt hätte, war Bushs Vater Präsident und mit Saddam Hussein alliiert. Was die US-Regierung jetzt sagt, beschädigt die Idee der humanitären Intervention.