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: Lebendes Denkmal für die Alternativkultur der Achtziger: Das Café Duddel

Die Achtziger-Shows wollten uns weiß machen, Nenas roter Minirock und Markus' Lied „Ich will Spaß“ seien die Symbole der 80er Jahre. Wer das glaubt, weiß nichts. Wer dagegen ins „Café Duddel“ am Zülpicher Wall geht, kann sehr viel lernen. Oder erinnert sich: Wickelröcke und Hollandräder mit aufgemalten Wölkchen beherrschten damals das Straßenbild.

Das Café Duddel, benannt nach der verstorbenen Katze seines Besitzers, ist ein lebendes Denkmal für die Alternativkultur der 80er Jahre. 21 verschiedene Teesorten weist die Karte aus, darunter natürlich Aromatees wie zum Beispiel „Wildkirsche“. Die Kerzen lassen ihr Wachs in Massen über die Kerzenständer laufen, viel Wachs galt damals als Statussymbol und stand für Behaglichkeit. Und es gibt diese überbackenen Baguettes, mit denen man sich auf jeden Fall eine fiese kleine Verletzung am oberen Gaumen zuzieht.

Drei Räume zählt das Café, einen größeren mit blanken Holztischen und zwei winzige, in denen sich unterschiedliche Stühle und ein Sofa um Tische mit Tischdecken scharen. Die Tafel mit den Tagesangeboten („Duddels Fressnapf“) hat einen kreativ gestalteten Rahmen aus golden angesprühtem Bauschaum, daneben lacht eine Sonne aus Spiegelsplittern, die in den Putz eingelassen sind.

Auf den selbst gebastelten Klotüren aus Sperrholz erschrecken uns ein schlecht gemalter nackter Mann und eine schlecht gemalte nackte Frau, beide fast in Lebensgröße. Das Waschbecken im Herrenklo ist ein Melkeimer. Spiegelsplitter im Putz auch hier. Nachdem ich das Café betreten habe, mache ich erst einmal mein Handy aus. Es passt einfach nicht hierher. Das finde nicht nur ich: Niemand hat eines auf dem Tisch liegen, und ich höre während der ganzen Zeit kein einziges Klingeln, obwohl das Café voll ist.

Die Welt der Jamba-Monatspakete scheint plötzlich weit entfernt. Das Baguette kostet 3,50 Euro, schmeckt mir gut, und ich ziehe mir beim Essen eine fiese kleine Verletzung am oberen Gaumen zu. Als ein langhaariger Student mit Vollbart das Café betritt, befürchte ich, nun doch in ein Zeitloch gefallen zu sein. Wo, wenn nicht hier. Doch Der Spiegel behandelt die Pisa-Studie und der Student hat keine Flugblätter dabei: Jetztzeit.

Das Café hat einen Hinterraum, der vom Solana-Theater genutzt wird. Jeden Donnerstag ist „Literatur um acht“, hier liest man sich in familiärer Atmosphäre eigene Texte vor und mag keine Poetry-Slams. Sehr angenehm. Dienstags findet ein „Philosophie-Salon“ statt, der jeden zum Mitreden oder Zuhören einlädt. Das Solana-Theater macht natürlich auch Theater, im November fand sogar ein Theater-Festival statt.

Nachdem ich das Café verlassen habe, mache ich erst einmal mein Handy an. Hallo 2005. Wir tragen keine gebatikten Windeln mehr um den Hals und Nena singt immer noch.

Christian Gottschalk

Programm im Solana-Theater: Dienstags (20 Uhr) Philosophie-Salon; Donnerstags (20 Uhr) Literatur um acht; 23.2. Theater-Premiere: „Der Fall Charms“ (Zülpicher Wall 8)