Flüssige Landschaften

Bernhard Ott lässt im Kamptal unprätentiöse Weißweine entstehen, die berühren. Die Natur hat an den Hängen des Tals Voraussetzungen geschaffen, die ideal für charismatische Veltlinerweine sind: Dort ist es feucht, selbst in trockenen Sommern

Man will immer alles besser machen als früher, aber man kann es nicht neu erfinden

VON TILL EHRLICH

Es ist zwölf Uhr mittags. Die Mittagsglocke schlägt in Feuersbrunn, einem Dorf im österreichischen Weingebiet Kamptal. 800 Einwohner, 221 Weinkeller und 340 Hektar Reben. Wir befinden uns etwa eine Autostunde westlich von Wien. Bernhard Ott beschleunigt seinen Wagen, lässt Feuersbrunn schnell hinter sich. Es geht durch einen Hohlweg auf einen Berg, der Wagram heißt. Der steigt rasch an. Links Marillenbäume, rechts Rebstöcke. Oben am Grat enden die Weinstöcke, beginnt ein Akazienwald. Der 33-Jährige stoppt den Kombi. Auf dem Wagram reicht der Blick weit. Ott atmet durch. „Ich liebe das total, diese Weite“, sagt er leise. Feuersbrunn wirkt von hier aus klein, der Himmel groß. Fern die Voralpen. Nah die Donau. Dunkel die Bergrücken der Wachau.

„Wagram“ bedeutet etwa so viel wie Wogenrain. Die Urdonau hat den mächtigen Lösswall abgelagert. „Ihre Wogen sollen hier ans urzeitliche Ufer geschlagen haben“, erzählt Bernhard Ott. Heute wachsen auf den Lössterrassen des Wagram Otts beste Weine. Sorte Grüner Veltliner. Rosenberg heißt seine beste Lage. Die Wurzeln des Grünen Veltliners reichen weit in die dreißig Meter tiefen Lössschichten hinab. Dort ist es feucht. Selbst in trockenen Sommern und Herbsten werden die Reben ausreichend mit Wasser versorgt. Die Natur hat am Wagram Voraussetzungen geschaffen, die ideal für charismatische Veltlinerweine sind. Lange Zeit blieb das Potenzial ungenutzt. Der Grüne Veltliner ist am Wagram traditionell die „Brot-und-Butter-Rebe“ gewesen. Solide und schlicht. Mit einem hausbackenen Image. Bis vor wenigen Jahren Bernhard Ott kam und einiges anders machte. Ott erkannte: „Wir müssen uns wieder zurückentwickeln, zu unseren Wurzeln.“ Und fügt mit Nachdruck hinzu: „Aber in einer feineren Art.“

Er war 22 Jahre alt, als er vom Vater den Betrieb übernahm. Das ist gerade zehn Jahre her. Bei Ott zählt jedes Jahr doppelt. Er lebt schnell und intensiv. Bernhard Ott hat in diesen zehn Jahren viel nachgedacht und ausprobiert. Ja, er hat Rotwein gepflanzt. Und ihn wieder rausgerissen. Hat trotz des anhaltenden internationalen Rotweinbooms alles auf die heimische Weißweinsorte Grüner Veltliner gesetzt. Hat sie wach geküsst. Und ihr zuliebe auf vermeintliche Stars wie Chardonnay oder Pinot Noir verzichtet. Heute bewirtschaftet Otts Weingut 18 Hektar Rebland. Davon sind 90 Prozent mit Grünem Veltliner bepflanzt.

Mit der gleichen Konsequenz hat Ott sich im Keller um den Ausbau der Weine gekümmert. Er hat inzwischen die Barriquefässer ausrangiert. „Das hat mich nicht mehr fasziniert.“ Er will nicht Holzgeschmack im Wein spüren, sondern den Geschmack der Traube. Möchte den Grünen Veltliner pur erleben. „Grüner Veltliner ist unsere Chance“, betont er. Diesen Satz sagt er oft.

Es ist die Suche nach unverwechselbarem Geschmack. Der nur an einem bestimmten Ort entstehen kann. Am Wagram. In Feuersbrunn. Nirgendwo anders.

Er ist kein Umstürzler. Ott ist Winzer in der vierten Generation. Hat auf dem aufgebaut, was Urgroßvater, Großvater und Vater durch Beobachtungen und Erfahrungen erkannt und weitergegeben haben. „Man will immer alles besser machen als früher“, sagt er nachdenklich, „aber man kann es nicht neu erfinden. Oft gelangt man über Umwege zurück zum Ausgangspunkt.“

1972 wurde Bernhard Ott geboren. Seither wurden im Weingut Ott keine chemischen Dünger mehr verwendet. Das war gut für den humusreichen Boden, er konnte sich regenerieren. Der junge Ott hält am Prinzip des Vaters strikt fest.

Aber naturnaher Weinbau soll ihm kein Verkaufsargument sein. „Ich mache es nur für mich.“ Wichtig ist ihm, was in der Flasche ist. Es muss sich allein durch den Geschmack mitteilen. „Und soll ehrlich produziert sein“, betont er.

Dann geht es bergab, den Wagram hinunter, nach Feuersbrunn. Der Probierraum des Weinguts ist ein heller und schlichter Raum. Ott öffnet eine schlanke Flasche. Es ist der „Rosenberg“, ein preiswerter Basis-Grüner-Veltliner. Sein Geschmack wirkt strahlend und klar. Ein schlanker Wein, dessen tiefgründige Aromen gebündelt, geschmeidig und kraftvoll wirken. Und diese Eigenschaften durchziehen Otts Weine wie ein roter Faden. Sie besitzen viele Schichten. Mit dem Aufzählen von Fruchtaromen, wie Pfirsich, Grapefruit oder Limone, erfasst man ihre Dimension nicht. Es ist eher ihre geschmackliche Gelassenheit und unaufgeregte Schönheit, die an den Wagram erinnert. An die räumliche Weite und Tiefe der Landschaft. Und an den würzigen Duft der Akazienwälder. Otts Veltliner verkörpern den Charakter der Landschaft. In flüssiger Form.

Bernhard Ott hat Freude am Genuss. Er verkostet mit hoher Konzentration seine Weine, aber man spürt, dass er sie am liebsten genießt. Mit Freunden und guten Speisen. In diesem Sinne hat er auch seinen „Fass Vier“ konzipiert. Das ist ein Grüner Veltliner mit Wucht, Frische und Feinheit. Ein vergnüglicher, anspruchsvoller und unkomplizierter Essensbegleiter.

Dann kommen seine Spitzenweine. Es sind die Reserve-Weine aus der Lage Rosenberg. Ob Jahrgang 2001, 2002 oder 2003, man kann die filigrane Mineralität des Lössbodens schmecken. Ihre große Feinheit ist Ausdruck des Lössbodens vom Wagram. Die Feinporigkeit des Lösses ist der Ausdruck dieser Weine. Hinzu kommt eine geschmackliche Reintönigkeit, die berührt. Obwohl es gehaltvolle Weine mit teilweise 14 Prozent Alkohol sind, wirkt ihre Üppigkeit leichtfüßig, ermüdet nicht.

Der Anspruch, höchste Qualität mit sinnlichem Trinkgenuss zu vereinen, zeigt sich auch in Otts Vorliebe für Magnumflaschen (1,5 Liter). In Flaschen dieser Größe kann substanzieller Wein besser lagern und reifen. Bernhard Otts Rosenberg-Reserve-Weine besitzen etwa 20 Jahre Lagerfähigkeit. Er selbst bringt ziemlich trocken auf den Punkt, worauf es ihm auch ankommt: „Es gibt Weine, da ist eine 0,75-Liter-Flasche zu viel für zwei Personen. Und es gibt Weine, da reicht eine Magnum nicht.“

Bernhard Ott schnuppert am Glas einer Rosenberg Reserve aus dem Jahrgang 2002. Atmet den Duft ein, nimmt einen Schluck und sagt: „Hilfe! Das animiert derartig. Daran könnt i mir deppert saufen.“

Eine Auswahl der Weine von Bernhard Ott gibt es u. a. bei „Wein & Glas“, 10717 Berlin, Prinzregentenstr. 2, Tel. (0 30) 2 35 15 20.