Aufregend anders

Originelle Weine sind ein Überlebensmittel. Am Douro, der Heimat des Ports und faszinierender Rotweine, ist man daher guter Dinge

VON STEPHAN REINHARDT

In der globalisierten Weinwelt sind charaktervolle, unverwechselbare Weine mit regionalem Herkunftscharakter zwar Gott sei Dank nicht verschwunden, aber sie sind schwer zu finden. Die Quintessenz des Weltenweins findet sich heute vor allem in einer Hand voll Rebsorten, die nicht zuletzt ihres kommerziellen Erfolges wegen in der ganzen Welt angebaut und verkauft werden: Cabernet, Merlot, Syrah/Shiraz, Pinot noir, Chardonnay und Sauvignon blanc. Nicht dass diese Sorten nicht große, auch einzigartige Weine hervorzubringen in der Lage sind, aber der Name dieser Varietäten, die zu den feinsten unter tausenden gehören, ziert massenhaft Weine, bei denen die Sorte gar dann keine Rolle spielt, weil man sie geschmacklich entweder nicht erkennt oder nur deshalb erkennt, weil ihre katalogisierten Aromen so überdeutlich aus dem Glas springen. Wer sich seine Literchen so zusammentrinkt, wird allerdings sehr schnell feststellen, dass es weitaus mehr Weinetiketten als unterschiedliche Weincharaktere oder -geschmäcker gibt.

Und so folgt dem globalisierten Wein die globalisierte Langeweile, weshalb man sich vor einigen Jahren schon auf die Suche nach dem Neuen, dem ganz Anderen begab. Natürlich fand man das Neue zumeist dort, wo es schon seit Urzeiten war, wo man aber lange nicht hingeschaut hatte: in Österreich (Blaufränkisch, Veltliner), Süditalien (Aglianico, Montepulciano, Negroamaro, Nero d’Avola), Südfrankreich (Carignan, Mourvèdre, Grenache), Griechenland (Agiorgitiko) oder Portugal (Touriga Naçional, Tinta Barroca etc.).

Die wohl aufregendste Weinregion Europas ist das nordportugiesische Douro-Tal. Drei Jahrhunderte lang haben Portweine diese atemberaubend schöne Kulturlandschaft berühmt gemacht. Doch heute sind es vor allem trockene, würzige, faszinierend fruchttiefe Rotweine, derentwegen man mal am Douro vorbeischauen sollte. Diese werden ausschließlich aus regionalen, im höchsten Maße originellen Varietäten wie Touriga Naçional, Tinta Roriz, Touriga Franca, Tinta Cão, Tinta Barroca, Tinta Amarela und Sousão erzeugt. Bis zu 30 unterschiedliche Sorten (insgesamt sind am Douro rund 90 zugelassen) wachsen in den meisten Weinbergen kreuz und quer durcheinander, weshalb der traditionelle Douro-Rotwein immer ein Verschnittwein verschiedener Trauben und Lagen war. Erst in den 70er-Jahren hat man begonnen, die einzelnen Sorten zu qualifizieren, und erst seit kurzem findet man hier die ersten sortenreinen Weine. Doch gleicht kein Wein dem anderen, die Vielfalt ist verblüffend.

Da am Douro aller Boden Schiefer ist und die Rebsorten zumeist gemischt stehen, mag man sich fragen, worin mögliche Terroirunterschiede eigentlich bestehen könnten. Abgesehen davon, dass die Komposition des Bodens en détail immer etwas variiert, sind es vor allem die Hangexpositionen und die Höhe, die den großen Unterschied machen. Die Anzahl der Hangausrichtungen ist unendlich, und es macht einen großen Unterschied, ob die Trauben den Süden oder den Norden, den Westen oder Osten sehen, ob sie in einem Steilhang oder eher auf einer Flachterrasse, ob sie in Flussnähe oder weiter oben, in der von Brisen aufgefrischten Luft von 400 oder 500 Metern stehen. Der Mischsatz und das Alter der Reben tun ihr Übriges.

Mitunter werden in den Kellern Unterschiede eingeebnet oder weiter ausgearbeitet. So mögen die superreifen, schokoladigen, holzwürzigen Rotweine der seit 1994 selbst vermarktenden Quinta do Crasto in der Presse zwar hoch gelobt sein, doch sind sie derart übersüßt und zugeholzt, dass jeder möglicherweise inhärente Douro-Charakter in der Dunkelheit der Schokolade verborgen bleibt. Das gleiche Schicksal ereilt auch den hoch gelobten Einzellagenwein Maria Teresa, dessen Überreife und massive Art sich nicht allein mit der nach Süden hin exponierten Steilstlage und dem biblischen Alter der Reben erklären lässt. Man will ihn einfach so haben. Und da der Erfolg dieser Weine besonders häufig in der angelsächsischen Fachpresse zitiert wird, darf man vermuten, dass dem Wein das gegeben wird, was er braucht, um erfolgreich zu sein.

Andere Winzer – wie Dirk Niepoort oder Jorge Moreira – arbeiten mit einer anderen, eher künstlerischen Einstellung und bevorzugen einen eher eleganten, finessenreichen Weinstil. Gleichwohl sind ihre großartigen Kreationen unverkennbare Geschöpfe des Douro-Tals.

Jorge Moreiras fantastisch balancierter Poeira stammt von einem steilen Nordhang im Pinhão-Tal und dürfte wegen seiner seidig-eleganten, rauchig-frischen Cassisfrucht, dem lakritzigen Schmelz, vor allem aber wegen seiner festen, feinkörnigen Tanninstruktur zu den kommenden Douro-Superstars zählen.

Dass charaktervolle Weine aber nicht nur im High-end-Bereich möglich sind, hat Dirk Niepoort gerade mit seinem roten Fabelhaft bewiesen. Dieser fruchtbetonte, angenehm würzige und animierend frische Wein des Jahrgangs 2002 ist von einer beschwingten Eleganz und Harmonie, die man am Douro, der Heimat mächtiger und konzentrierter Rot- und Portweine, bislang nicht gekannt hat. Zusammen mit dem Calcinaires von der französischen Domaine Gauby (Roussillon) ist er der Beweis dafür, dass große Weine auch für wenig Geld zu haben sind.