Leiser Protest

Mit „Fuck You“-Abenden wehrt sich die alte Mitte-Boheme um Ran Huber gegen zugezogene Spießer

Es gab mal eine Zeit, da ging es in Berlin furchtbar aufregend zu. Es gab ständig neue Clubs, Wochenbars und öffentliche Wohnzimmer. Das Bier war billig, man kannte den Türsteher und die Stimmung war gut. In diesem Golden-Age-Berlin Anfang der Neunziger war Mitte der Nabel der Welt.

Heute ist alles anders: Es gibt nur Schuhläden, Cocktailbars und Ableger des New-Economy-Booms. Das Gejammer, dass Mitte verloren sei für diejenigen, denen Mitte einmal gehört hat, muss man schon seit Jahren ertragen. Zuletzt jedoch war eine verdächtige Ruhe eingekehrt. Das Schiff Mitte schien endgültig gesunken zu sein, und die Überlebenden hatten sich ganz nach den Regeln der Gentrifizierung nach Friedrichshain oder zurück nach Kreuzberg begeben und jammerten dort nur noch leise in sich hinein.

Doch einer leistet nach Asterix-Manier immer noch Widerstand. Ran Huber, der als Kleinstkonzertveranstalter zur Hochzeit immer neue Locations in Mitte aufgetan hatte und der nun seine Existenzgrundlage in diesem Stadtteil bedroht sieht, möchte sich nicht völlig aus seinem Biotop vertreiben lassen. Aus diesem Grund hat er das DJ-Team „Fuck You Mitte“ um sich geschart und unter diesem Slogan eine Veranstaltungsreihe konzipiert.

Andere gehen aus ähnlichen Gründen auf die Straße, lassen den DJ lauten Gabba auflegen, zeigen Stinkefinger und nennen das „Fuckparade“. Ran Huber dagegen hat sich eine Protestform ausgedacht, die weniger auf Konfrontation setzt. Mit einer sanften Geste versucht er den Mitte-Spießern klar zu machen: Schaut her, so hübsch und niedlich ging es zu, bevor ihr hier wart, und so hübsch und niedlich könnte es wieder sein, wenn ihr einfach gehen würdet.

In der „Fuck You Mitte“-Songwriternacht im King-Kong-Club, der sich im Herzen des vom Feind besetzten Territoriums befindet, reichten sich somit Berliner Szenestars und Newcomer gegenseitig die Gitarre, und nur diese. Denn allein mit Gesang und Gezupfe sollte protestiert werden, man wollte ganz leise sein. Ein wenig hing der Geist von Hannes Wader in der Luft.

Es wurde ein kuscheliger, vielleicht ein wenig arg nostalgisch wirkender Abend. Erlend Oye, der mit seiner Band Kings of Convenience immerhin den Slogan „Leise ist das neue Laut“ zur Marktreife gebracht hatte, das roaring Berlin allerdings nur vom Hörensagen kennt, spielte als einer der Stars des Abends genau wie ein Mensch namens Philipp nicht mehr als drei Songs. Dann kam der nächste mit seiner Wandergitarre auf die Bühne. Dazwischen immer wieder Ran Huber, der jeden einzelnen seiner „Fuck You Mitte“-Mannschaft als „Giganten“ oder als „genial“ ankündigte und als jemanden, von dem man in diesem Jahr noch viel erwarten dürfe. Ran Huber war hörbar dankbar, dass alle gekommen sind.

Zu großen Proklamationen wollte sich niemand hinreißen lassen. Allein das freundschaftliche Zusammenrücken, das familiäre Beisammensein an einem Ort, der die Berliner Boheme angeblich loshaben möchte, sollte Aussage genug sein. Am Ende trat dann auch noch Überraschungsgast Julia Hummer auf, die der typische Mitte-Hipster wahrscheinlich nur als das neue Gesicht des deutschen Films kennt. Doch dem „Fuck You Mitte“-Publikum machte sie allein durch ihren Auftritt klar, dass sie lieber eine von ihnen sein möchte. Das fanden bestimmt alle höchst sympathisch, und zufrieden sind sie so nach Hause gefahren, irgendwohin, nach Kreuzberg oder Friedrichshain.

ANDREAS HARTMANN