Die Einsicht der einsamen Braut

Die Länderfusion ist aufgeschoben – aber nicht aufgehoben, kündigen die Regierungschefs an. Neuer Termin für die Volksabstimmung könnte 2010 sein. Doch da ist das Bundesverfassungsgericht vor

VON ULRICH SCHULTE

Ach, was haben wir gebangt. Gehofft. Es längst geahnt. Denn wer hat noch ernsthaft an ein romantisches Ende der Länderfusion von Berlin und Brandenburg geglaubt? Gestern endlich hat der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD), ein heißer Verfechter des pünktlichen Zusammengehens, eingestanden: „Man kann zwar als geschmückte Braut vor dem Traualtar stehen. Aber wenn der Partner nicht kommt, sieht’s traurig aus.“

Eines der ambitioniertesten politischen Projekte der Länder Berlin und Brandenburg ist aufgeschoben, aber nicht aufgehoben. Eine Volksabstimmung über die Länderehe wird es frühestens 2010 geben, so das Fazit der Kabinettssitzung beider Regierungen. Das eine Bundesland könnte 2013 entstehen, hofft Wowereit. Berlin müsse die brandenburgischen Zweifel am Zeitplan zur Kenntnis nehmen, sagte er und rückte damit vom avisierten Zeitplan – Volksabstimmung 2006, Fusion 2009 – ab.

Wie oft, wenn sich Partner in einer Beziehungskiste entschließen, erst mal Abstand zu halten, sind die Gründe profan: Zum einen liegt es am Geld. „Die finanziellen Rahmenbedingungen eines gemeinsamen Landes müssen wenigstens im Groben geklärt sein“, sagte Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD). Will heißen: Ernsthaft über die Fusion reden kann man erst nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu Bundeshilfen für die hoffnungslos verschuldete Hauptstadt. Gleiches hatte Platzecks Regierungspartner, CDU-Landeschef Jörg Schönbohm, am Morgen betont. Die neuen Daten darf man also beileibe nicht als neuen Fahrplan verstehen – je nachdem, wie die Richter entscheiden, steht die Fusion komplett auf der Kippe.

Wohl entscheidender als ungeklärte Finanzen ist aber die Gefühlslage der Brandenburger, die sich bereits 1996 gegen ein einziges Bundesland aussprachen. Bestenfalls ein Viertel der Einwohner seines Landes votiere für die Fusion, sagte Platzeck mit Verweis auf Umfragen. Schlichte Realitätsanerkennung sei es, nicht auf dem ausgemachten Abstimmungstermin zu beharren. Realität hin, Schulden her, Emotionen mochte auch Platzeck nicht verhehlen: „Es ist für mich eine Sache des Gefühls: Ich will meinen dritten Lebensabschnitt in einem gemeinsamen Bundesland verbringen.“

Denn obwohl die Nachbarn erst mal auf Abstand gehen, bleiben sie Freunde. Jetzt, so der Plan, rückt man eben nach und nach zusammen (siehe Kasten). Wenn der Finanzrahmen stehe, „werden wir stramm auf die Abstimmung hinmarschieren“ (Platzeck). Davon unabhängig „muss die gute Zusammenarbeit fortgesetzt werden“ (Wowereit).

Im vergangenen Jahr hatten mehrere führende Politiker aus Brandenburg den Zeitplan für illusorisch erklärt. Weitere Anzeichen mehrten sich in den letzten Monaten: Wowereits Plan, die Hauptstadtklausel durch die Föderalismuskommission ins Grundgesetz zu drücken, scheiterte. Parlamentarier diskutierten darüber den – traditionell eher lax besuchten – Parlamentsausschuss Berlin-Brandenburg aufzulösen. Zuletzt dachte der Berliner SPD-Fraktionschef Michael Müller öffentlich über die Verschiebung der Fusion nach.