„Integration geschieht über Arbeit“, sagt Steffen Angenendt

Das Zuwanderungsgesetz ist ein Fortschritt – doch der Migrationspolitik mangelt es weiter an Transparenz

taz: Herr Angenendt, was bringt uns das neue Zuwanderungsgesetz, das seit dem 1. Januar in Kraft ist?

Steffen Angenendt: Mit dem Gesetz wird die jahrzehntelange Lebenslüge aufgegeben, dass Deutschland kein Einwanderungsland sei. Das zweite Positive ist, das Integrations- und Migrationsaspekte nun gemeinsam in einem Gesetz geregelt werden. Drittens ist gut, dass das Gesetz der Verwaltung Gestaltungsspielräume lässt. Es ist zu hoffen, dass diese Handlungsspielräume positiv genutzt werden.

Einwandern dürfen nun Unternehmer mit mindestens einer Million Euro im Koffer, Top-Wissenschaftler und Manager. Ausländische Studenten dürfen ein Jahr länger in Deutschland zur Arbeitssuche bleiben. Reicht das?

Wir sind in extremer Weise auf die Entwicklung und Vermehrung von Wissen angewiesen, und dazu benötigen wir internationalen Austausch. Der muss auch durch Migration gefördert werden, und dafür brauchen wir Regelungen. Die haben wir aber leider mit dem neuen Zuwanderungsgesetz noch nicht; Zuwanderung wird immer noch viel zu sehr als Risiko und nicht als Chance angesehen.

Wie soll der Bedarf an weiteren Arbeitskräften, etwa an qualifiziertem Pflegepersonal, gedeckt werden?

Dafür gibt es keine neuen Möglichkeiten. Aber da der Anwerbestopp beibehalten wurde, ist auch die Anwerbestoppausnahmeverordnung, ASAV, beibehalten worden. Sie war in den letzten dreißig Jahren das wichtigste Steuerungselement. Ein sehr pragmatisches und durchaus wirkungsvolles Instrument. Wir könnten bei einer Ausweitung der Ausnahmetatbestände auch mit Hilfe der ASAV weitere Berufsgruppen anwerben – aber dies wäre eben keine transparente und parlamentarisch legitimierte Migrationspolitik.

Die Ziele der Migrationspolitik müssen transparenter werden?

Ja, wir haben schon immer effektiv gesteuert – das ist eine Botschaft, die der Zuwanderungsrat in seinem Gutachten deutlich formuliert. Wir waren nicht hilflos ungesteuerter Zuwanderung ausgeliefert, und uns haben auch keine Massen unerwünschter Zuwanderer überrannt, wie oft behauptet wird. Wir haben die Zuwanderung von Asylbewerbern seit dem Asylkompromiss auf einen Bruchteil und bis an die Grenze des humanitär Vertretbaren heruntergefahren. Wir haben die Zuwanderung von Aussiedlern und Spätaussiedlern äußerst stark reduziert. Nur ist diese Tatsache den meisten Leuten nicht bewusst.

Wie verträgt sich Zuwanderung mit der Arbeitslosigkeit im eigenen Land?

Schon die Zuwanderungskommission, die Rita Süssmuth geleitet hat, hat in ihrem Bericht die Arbeitsmarktdaten analysiert: Es gibt bei uns einerseits eine hohe einheimische Arbeitslosigkeit, auf der anderen Seite aber auch eine große Zahl von nicht besetzten Stellen. Wenn man Firmenvertreter fragt, warum sie die offenen Stellen nicht aus dem Heer der einheimischen Arbeitslosen besetzen, ist die Antwort einhellig: Wir haben uns bemüht, aber in der Praxis passen die Qualifikationen oft nicht, obwohl sie formal stimmen.

Warum setzt man dann nicht auf eine bessere Qualifikation der Arbeitssuchenden?

Es ist klar, dass Aus- und Weiterbildung bei uns einen sehr viel größeren Stellenwert bekommen muss. Und es ist auch klar, dass die Versäumnisse, die wir in den letzten dreißig Jahren angehäuft haben, nicht durch Zuwanderung gedeckt werden können. Das geht nicht. Die Zahlen wären so groß, dass es politisch überhaupt nicht vertretbar wäre. Aber es ist ebenso eindeutig, dass Zuwanderung zumindest einen kleinen Teil dazu beitragen kann, die Folgen der demografischen Alterung und die Arbeitsmarktlücken abzufedern. Der Punkt ist – und so wurde es damals von der Süssmuth-Kommission und jetzt auch wieder vom Zuwanderungsrat betont – dass die Zuwanderungspolitik eingebunden sein muss in Arbeitsmarktreformen und in Reformen des Bildungssystems.

Das Zuwanderungsgesetz sieht vor, Integration vor allem durch Sprachkurse zu leisten. Ist das nicht zu wenig?

Es gibt Sprachkurse und ein definiertes Niveau, das darin erreicht werden soll. Aber die Mittel werden wahrscheinlich nicht ausreichen. Die Sprachkurse haben einen Stundenumfang, in dem das Lernziel nur erreicht werden kann, wenn die Klassen extrem klein sind. Das ist aber nur der eine Aspekt. Der andere, der in der Debatte immer vergessen wird, ist, dass Sprachkenntnisse zwar unverzichtbar sind, Sprachkenntnisse allein aber garantieren keine Integration. Integration geschieht in erster Linie über den Arbeitsmarkt. Ist Arbeit da, findet Integration statt.

Nach diesem Kriterium hapert es aber sehr mit der Integration: 40 Prozent der zugewanderten Türken in Berlin sind arbeitslos …

Das ist eine äußerst schlimme Entwicklung. Wir haben von 1955 bis 1973 unter aktiver Beteiligung der Bundesregierungen unqualifizierte Arbeitskräfte für unqualifizierte Tätigkeiten angeworben. Wenn die auf dem veränderten Arbeitsmarkt, der höher qualifizierte Arbeitskräfte braucht, nicht mehr zurechtkommen, muss man sich darum kümmern und kann nun nicht wie der ehemalige Bundeskanzler Helmut Schmidt sagen, die ganze Gastarbeiteranwerbung wäre falsch gewesen.

INTERVIEW: EDITH KRESTA