Massenproteste in Bolivien

In La Paz feiern Zehntausende den Rauswurf des französischen Wasser-Multis Suez. Trotz des Entgegenkommens der Regierung wächst der Protest gegen Präsident Carlos Mesa

PORTO ALEGRE taz ■ Die bolivianische Volksbewegung sieht sich im Aufwind. Drei Tage lang blockierten Tausende die Zufahrtsstraßen nach El Alto, der Großstadt oberhalb des Regierungssitzes La Paz. Am Mittwoch unterzeichnete Präsident Carlos Mesa ein Dekret über den Abzug der Wasserfirma Aguas del Illimani, die vom französischen Wasser-Multi Suez kontrolliert wird. Daraufhin hoben die Nachbarschaftskomitees von El Alto ihren Generalstreik auf, und Zehntausende marschierten vorgestern im Triumphzug nach La Paz.

Doch nicht nur die monatelangen Proteste führten zur Niederlage des Multis, sondern auch Sturheit und Arroganz. Tage vorher hatte Geschäftsführer Antoine Kuhn die Regierung von oben herab an ihre „Verpflichtungen“ gegenüber Aguas de Illimani erinnert, worauf Außenminister Juan Ignacio Siles prompt eine Entschuldigung verlangte. Allerdings strebe man eine „einvernehmliche“ Lösung an, um Entschädigungsforderungen zu vermeiden.

Aguas del Illimani ist seit der Privatisierung 1997 für große Teile der Trinkwasserversorgung und der Abwassersysteme in El Alto und La Paz zuständig. Seit Jahren wurden dem Konsortium, an dem auch die Weltbanktochter International Finance Corporation mit 8 Prozent beteiligt ist, Mängel bei der Versorgung und vor allem eine unverschämte Tarifpolitik vorgeworfen. Nun will die Regierung, den öffentlichen Wasserbetrieb wiederbeleben.

Parallel zu den Protesten im Andenhochland organisierte ein breites „Bürgerbündnis“ in der östlichen Provinzhauptstadt Santa Cruz einen zweitägigen Ausstand und einen Hungerstreik. Treibende Kraft sind Unternehmer und Großbauern, die sich schon jahrelang von der Zentralregierung bevormundet sehen – der Bürgermeister von La Paz, ein Bundesgenosse von Präsident Mesa, wittert gar eine „Verschwörung der Oligarchie“.

Gewerkschafter demonstrierten in vier weiteren Städten. Der Dachverband COB fordert ebenso wie der Aymara-Kleinbauernführer Felipe Quispe Mesas Rücktritt. Die Indígenas und Kleinbauern aus der Region von Cochabamba gaben dem Präsidenten bis Montag Zeit, seine Erdgaspolitik zu ändern.

Auslöser der jetzigen Proteste war eine Ende Dezember verfügte Streichung von Subventionen für Benzin und Diesel. Dadurch stiegen die Brennstoffpreise um 10 bzw. 23,5 Prozent, und auch die Grundnahrungsmittel verteuerten sich. Am Sonntag hatte Mesa, dessen Amtszeit 2007 ausläuft, erstmals mit Rücktritt gedroht, sollte es zu gewalttätigen Ausschreitungen kommen.

Evo Morales, Chef der Oppositionspartei „Bewegung zum Sozialismus“ (MAS), der Mesa lange Zeit gestützt hatte, sprach sich jetzt für vorgezogene Präsidentenwahlen aus: „Wir sind zum Schluss gekommen, dass sich Carlos Mesa zum Hauptfeind des bolivianischen Volkes erklärt hat.“ Mesa habe seine Versprechungen vom Oktober 2003 nicht eingelöst. Der parteilose Mesa war Staatschef geworden, nachdem sein Vorgänger Gonzalo Sánchez de Lozada nach der blutigen Niederschlagung von Protesten in El Alto gestürzt war.

GERHARD DILGER

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