Neun Tote bei Anschlag in Gaza

Gleich drei militante Palästinensergruppen bekennen sich zum Angriff auf einen israelischen Grenzposten, ein klares Signal an Mahmud Abbas. Israels Regierung räumt dem neuen Palästinenserpräsidenten offenbar eine Schonfrist ein, die Armee nicht

AUS JERUSALEM SUSANNE KNAUL

Die wiederholten Appelle des neuen Palästinenserpräsidenten Mahmud Abbas stoßen bei den militanten Widerstandsgruppen auf taube Ohren. Zum zweiten Mal innerhalb von 24 Stunden verübten palästinensische Terroristen in der Nacht zu gestern einen Sprengstoffanschlag. Insgesamt sechs israelische Zivilisten, die am Grenzübergang Karni arbeiteten, kamen ums Leben, als drei Attentäter die in einem Lkw versteckten rund 150 Kilogramm Sprengstoff zündeten und anschließend das Feuer eröffneten.

Der Grenzübergang, über den zumeist Nahrungsmittel und Baumaterial transportiert werden, stand kurz vor der Schließung, als die Explosion ein Loch in das Tor auf palästinensischer Seite riss, durch das die Attentäter sich den Weg auf die israelische Seite bahnten, bevor sie von Soldaten erschossen wurden. Das „Volks-Widerstands-Komitee“, eine Art Dachverband der Widerstandsgruppen, die Hamas und die Fatah-nahen Al-Aksa-Brigaden erklärten sich für den Überfall verantwortlich.

Gerade die Tatsache, dass sich drei Gruppen zu der Tat bekannten, „macht es für Abbas schwer, konkrete Maßnahmen zu ergreifen“, erklärt die palästinensische Journalisten Maha Awad von der Voice of Palestine auf telefonische Anfrage. Dass sich ein so schweres Attentat „ausgerechnet jetzt“ ereignet, deutet die Journalistin als „ein Signal an Abbas“, der nun versuchen müsse, „herauszufinden, was die Gruppen von ihm wollen“. Abbas hatte am vergangenen Sonntag mit deutlicher Mehrheit die Präsidentschaftswahlen für sich entschieden. Ein zentrales Ziel ist die Beendigung der gewaltsamen Intifada, die er wiederholt als „schweren Fehler“ bezeichnet hatte.

Die Al-Aksa-Brigaden hatten im Verlauf der Woche ihren Wunsch geäußert, sich in die Reihen der Sicherheitsdienste einzugliedern, und auch die Hamas will mit dem neuen Präsidenten den Dialog aufnehmen, so Scheich Saed Siam, Mitglied des politisches Führungsstabs. Siam deutete die Tatsache, dass die Zahl der Wähler „nicht über 50 Prozent“ der Stimmberechtigten hinausginge, als einen „Sieg für das Hamas-Projekt, das auf dem Widerstand basiert“.

Sollten die Anschläge andauern, so glaubt Maha Awad, dann wäre das hingegen „eine Kriegserklärung der Hamas an Abbas“. Wenn Abbas derzeit noch nicht über die Mittel verfüge, tatsächlich Verhaftungen vorzunehmen und mit Polizeigewalt gegen die militanten Gruppen vorzugehen, so könne das „in einigen Wochen vielleicht“ schon anders sein.

Offenbar will die israelische Regierung dem neuen Palästinenserpräsidenten eine Schonfrist einräumen. Die Armee zeigt sich indes weniger geduldig und ging bereits diese Woche wiederholt gegen Aktivisten der islamischen Gruppen vor. Berichten der liberalen Tageszeitung Ha’aretz zufolge bereitet sich das Militär auf eine mögliche „massive Operation gegen die Kassam-Raketen“ vor. Nach dem jüngsten Anschlag wurden sämtliche Zugänge zum Gaza-Streifen auf unbestimmte Zeit gesperrt.

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