Die Braut trägt Orange

ÜBERGÄNGE Dem Trauma des Kosovokrieges und den surrealen Bruchstellen der Nachkriegszeit gelten die Werke von Erzen Shkololli. Sie sind geheimnisvoll und berührend, zu sehen in der daad-Galerie

Verstorbene angemessen beerdigen zu können ist in Shkolollis Welt ein Privileg

VON JULIA GWENDOLYN SCHNEIDER

Von einer weißen Wand ist der Blick zunächst verstellt. Dafür ertönen Stimmen, die zwar eine fremde Sprache sprechen, deren klagender Tonfall aber nicht eindringlicher sein könnte, aus dem Herzstück von Erzen Shkolollis Installation in der daad-Galerie. „Durch meine Kunst versuche ich die politische Situation im Kosovo zu reflektieren. Losgelöst von dem Kontext, in dem ich lebe, möchte ich keine Kunst machen“, erklärt Shkololli, der 1976 in Pejë geboren wurde, seine künstlerische Haltung.

Er gehört zu einem kleinen, sehr engagierten Künstlerkreis, der sich zwar im westlichen (Kunst-)Kontext bewegt, seinem Herkunftsland jedoch verbunden blieb. Er half dabei mit, den einzigen Raum für zeitgenössische Kunst im Kosovo aufzubauen, dessen Förderung inzwischen leider ausgelaufen ist. „Exit“ schlug vor allem eine wichtige Brücke zur internationalen Kunstwelt, zu der zuvor kaum Kontakt bestand.

Erhabene Kostbarkeit strahlt ein kranzähnliches Objekt aus, das im Innern des in die daad-Galerie eingebauten, entfernt an ein Mausoleum erinnernden Raums auf einem Betonsockel thront. Zwischen dem golden funkelnden Gebilde und dem von Rissen durchzogenen Beton tut sich unweigerlich ein schmerzhafter Abgrund auf. „Wreath“ (2009) entstand in Zusammenarbeit mit Frauen aus Gjakova, einem Ort, an dem der Kosovokrieg besonders traumatische Spuren hinterlassen hat. Ein Großteil der dort lebenden jungen Männer wurde umgebracht. Für Shkolollis Installation haben zwei Frauen ein traditionelles Stück prachtvoller albanischer Stickkunst hergestellt, das noch heute in Beerdigungszeremonien Verwendung findet. So möchte der Künstler den Toten Respekt erweisen und Würde geben. Ob die Schönheit der Goldstickerei den Schmerz über die vielen noch immer vermissten und nie anständig beerdigten Menschen im Kosovo aber wirklich sublimieren oder zumindest ertragbarer machen kann, bleibt fraglich.

Dass es ein Privileg sein kann, Verstorbene in angemessener Weise zu beerdigen, war bereits Ausgangspunkt für die Arbeit „Bed“, mit der Shkololli 1999 im internationalen Ausstellungsbetrieb bekannt wurde. Die äußerst ästhetische Installation bestand aus einem rituellen Sterbebett, das mit kostbar bestickter Bettwäsche aus der Familie des Künstlers bezogen war. Dass seine Werke trotz vielschichtiger kultureller Codes immer eine intuitiv erfahrbare Ebene enthalten, wurde bereits damals deutlich. „Man sieht meine Arbeiten und spürt, wovon sie handeln“, meint Shkololli, in dessen konzeptueller Kunst immer persönliche Anliegen mitschwingen. „Die Wahl des Objektes Bett rührt nicht von einer emotionalen Gleichgültigkeit her, sondern vom genauen Gegenteil.“

Die Decken der Toten

Beklemmend ist auch seine Fotoserie „Blankets“ (2004). Er suchte aus einem Buch der OSZE Abbildungen von Decken aus, die bei der Exhumierung von Massengräbern geborgen wurden, um zur Identifizierung der Toten beizutragen. „Sie nahmen die Decken mit, um zu überleben, aber am Ende wurden sie in Massengräber darin begraben.“ Diesen ins Gegenteil verkehrten Nutzen empfindet Shkololli als sehr bedrückend.

In anderen Arbeiten ging es dafür weniger traurig zu. Wie eine groteske Komödiantin bewegt sich der von ihm erdachte Archetyp einer Braut durch die kosovarische Nachkriegsrealität. Mal steht sie vor kommunistischen Monumenten, dann mitten in einem Grab oder einfach auf einer Blümchenwiese. „Die Braut läuft durch verschieden Zeiten, sie zeigt den Übergangsstatus der Dinge.“ Das Gesicht unter einem traditionellen orangefarbenen Schleier verborgen, wirkt sie geheimnisvoll. „Diese Braut ist nicht zu identifizieren. Auf ihre gesichtslose Art repräsentiert sie all die Witwen nach dem Krieg. Sie ist immer allein, normalerweise wäre sie in Begleitung ihres Bräutigams.“ Als Braut verkörpert sie aber auch einen Neuanfang, während ihr Schleier als Metapher für traditionelle Bräuche dient. Wie ein voreingenommener Anthropologe wählt Shkololli herkömmliche Dinge aus, lässt dabei aber Symbole und Desillusionen der heutigen Zeit einfließen.

Dieses Oszillieren zwischen den Zeiten zeigt, was es heißt, heute im Kosovo zu leben. Es gibt nicht nur den Übergang vom Krieg zum Frieden, sondern multiple Realitäten und Veränderungen. Eine Abfolge von Selbstporträts spiegelt die kollektive Geschichte und ihre Brüche. „Transition“ (2001) zeigt Shkololli als Jungen in muslimischer Tracht vor der Beschneidung, als Teenager in jugoslawischer Pioniersuniform und als jungen Mann vor dem EU-Sternenkranz. Fast schon ironisch spielt er mit den ihm zugeschrieben Identitäten.

■ Erzen Shkololli, „Wreath“. Bis 27. 6. 09, daad-Galerie, Zimmerstr. 90/91, Mo.–Sa. 11–18 Uhr