Verflochtene Welten

Der südafrikanische Choreograph Boyzie Cekwana mit „The Floating Outfit Projekt“ auf Kampnagel

von Marga Wolff

In Stille und unendlicher Langsamkeit begibt sich das Trio weiß gepuderter Körper – eine Frau und zwei Männer – auf die Reise. Sie schlägt einen Rhythmus mit dem Bogen auf ein Saiteninstrument. Später antworten die Körper mit scharfkantigen Bewegungen, in sprunghaften Transformationen zwischen Mensch und Tier, teilt der harte Wechsel aus Licht und Dunkel die Bühne in immer neue Räume.

In Rona („Wir“) rührt der südafrikanische Choreograph Ntsikelelo „Boyzie“ Cekwana, der derzeit mit seiner aus Soweto stammenden Compagnie „The Floating Outfit Project“ auf Kampnagel gastiert, an uralte Rituale, die er überzeugend mit dem heutigen Alltag in seinem Land konfrontiert.

Cekwana wird derzeit als Wunderkind des südafrikanischen Tanzes gefeiert. Doch viel mehr noch ist er ein Botschafter seiner Kultur. Der Kultur eines neuen Südafrikas, das mit wachsendem Selbstbewusstsein und der Besinnung auf traditionelle Wurzeln die Folgen der Apartheidregierung zu überwinden sucht und sich neuem Leid gegenüber sieht – der Ausbreitung von Aids.

Ja, Nee, das zweite Stück des Abends, ist politisch motiviert. Und im Gegensatz zu der eher abstrakt minimalistischen Bildhaftigkeit in Rona zeigt Cekwana hier, dass er sich ebenso auf eine theatrale Erzählweise von atmosphärischer Dichte versteht. Beeindruckend ist die Präsenz der in westlicher Tanztechnik geschulten Tänzer. Vor allem Desire Davids überzeugt, wenn sie sich als einzige Frau in dem acht-köpfigen Ensemble auf Zehenspitzen zwischen den laut deklamierenden, stampfenden Männern hindurchtastet und dabei still ihre eigene Welt erschafft.

Männliche Dominanz in afrikanischen Kulturen beleuchtet Cekwana anhand tradierter Lobgesänge. Zwischen Selbstanklage und Publikumsbeschimpfung changiert der Sprech/Schrei-Gesang, der sich zuweilen direkt an die Zuschauer wendet. In Zulu versteht man die Worte zwar nicht, aber bei Cekwanas feinem Gespür für Timing werden über kurz oder lang auch ungeordnete Lautäußerungen zu einer vielstimmigen Musik, verwandeln sich Armgefuchtel und klobige Schritte in Tanz.

Gewalt und Schönheit liegen hier dicht beieinander, überlagern sich in irritierenden Bildern. Es ist nicht allein die Grobheit der Männer, die einer fast schon exotisch anmutenden Eleganz der Frau begegnet. Immer wieder legt einer der Männer fast unbemerkt seine Kleider ab, verharrt in verletzlicher Nacktheit mit dem Rücken zum Publikum.

Doch trotz harter Gegensätze ist diese Choreographie weit entfernt von plakativer Schwarzweiß-Malerei. Seine hochmoderne Tanzsprache zeugt vielmehr von einem weitreichenden Einfluss zeitgenössischer Stile.

Es gehe ihm weder um Kunst noch um Unterhaltung, hat Cekwana einmal über das Stück Ja, Nee gesagt. Eher hat man den Eindruck, dass hier ein Stück heutigen Alltags im einstigen Township Soweto abgebildet wird, in das sich andere, im Verborgenen schlummernde Realitäten mischen. Und wenn am Schluss die Männer mit den Hacken ihrer Gummistiefel, Symbol für die Ausbeutung der Arbeiter in den Minen, einen eindringlich leisen Rhythmus schlagen, dann spürt man, dass Südafrikas Kultur weit tiefer reicht, als es populäre Gum Boot-Spektakel vorgaukeln.

bis 22.1. täglich, 20 Uhr, Kampnagel