Die Unruhe vor dem Sturm

Auf der „Klartext!“-Konferenz im Künstlerhaus Bethanien wurde diskutiert, was an aktueller Kunst politisch ist. Allmählich fließen die vielfältigen Formen des Protests gegen Globalisierung auch in die Kulturproduktion ein

Kunst braucht immer Spezialisten: Nicht jeder kann gleich gut Videos drehen

Der Kulturbetrieb ist nicht eben arm an Kongressen, auf denen diskutiert wird, wie es weitergehen soll. Denn die Frage, wie eine Politisierung von Kunst oder zumindest deren gesellschaftliche Funktion aussehen könne, hat seit der letzten documenta Konjunktur. Zählt man die weltweite Mobilisierung gegen die Globalisierung, aber auch die Kritik an der Bush-Regierung und ihrer Kriegstreiberei nach dem 11. September hinzu, dann liegt die Rückkehr des Politischen in der Kunst ohnehin im Trend.

Insofern traf es sich gut, dass die von Marina Sorbello und Antje Weitzel organisierte „Klartext!“-Konferenz im Künstlerhaus Bethanien stattfand. 1973 von Aktivisten besetzt, gilt das Gebäude als Kreuzberger Wahrzeichen für eine politisch engagierte Kunstpraxis. Doch historisch gesehen hat die Sache einen Haken: Die ursprünglichen Besetzer wollten das frühere Krankenhaus in seiner Funktion erhalten. Erst mithilfe des Senats wurde aus dem Bethanien ein Künstlerhaus – gegen die Interessen vieler Anwohner.

Kunst tappt recht oft in solche Fallen. Sie will an gesellschaftlicher Veränderung teilhaben, steht ihr aber häufig bloß im Weg, oder schlimmer noch: nimmt ihr mit der Kulturalisierung von Konflikten den Wind aus den Segeln. In den Neunzigerjahren hat gerade die Boheme in Mitte mit ihren lockeren und hedonistischen Lebensentwürfen zur Gentrifizierung des Bezirks beigetragen.

Kann man deshalb von einem Versagen der Kunst sprechen? Für Marius Babias zumindest sind Malerei, Skulptur oder Fotografie nur Ausschmückungen für den globalen Markt. In seinem Vortrag zog der Kurator die Schlinge eng um zwei Modelle des Scheiterns: Entweder politische Kunst passt sich dem institutionellen Rahmen an und wird kommunitaristischer Ersatz für Sozialarbeit; oder das widerständige Potenzial gerät ihr zum Stilmittel, um Aufmerksamkeit zu erlangen auf dem Marsch ans obere Ende der Karriereleiter.

Dann laut Babias schon lieber die RAF, die mit ihrer Frage „Wie weit bist du bereit zu gehen?“ auch der Kunst die eigenen Grenzen aufgezeigt habe: Schließlich hätten sich Künstler im Ernstfall immer wieder in ihre Nische zurückgezogen. Kein Wort fiel bei Babias allerdings darüber, dass Holger Meins und Christian Klar als ehemalige Studenten der dffb den Weg bis in den Terrorismus zu Ende gegangen sind – mit fatalen Konsequenzen.

Ansonsten blieb dem Publikum die RAF erspart. Der in Paris lebende Gesellschaftstheoretiker Brian Holmes sprach über das kreative Potenzial, das in den zeitgenössischen Protestbewegungen liegt. Für ihn sind Demos zugleich Performance und Karneval, die Aktionen der italienischen Tutte Bianchi erinnern ihn an Inszenierungsformen des Theaters; und die Mediennetzwerke, die im Umfeld der Antiglobalisierungsbewegung entstanden sind, haben sich souverän Video oder Internet als Kommunikationsmittel angeeignet. Von diesen direkten Aktionen ließe sich auch in der Kunst lernen, vor allem könnte aus der Bereitschaft zum massenweisen Engagement eine neue Solidarität erwachsen, die linke Intellektuelle mit ins Boot holt, anstatt sie in ihrem theoretischen Grübeln weiter zu isolieren.

Die Bedenken gegen ein solches Modell kamen hingegen aus der Praxis. Francesco Jodice von der Mailänder Gruppe Multiplicity betonte in seinem Statement, dass man in politischer Kunst auf Spezialisten angewiesen sei: Nicht jeder verfügt über das Wissen eines ausgebildeten Architekten, nicht jeder kann gleich gut Videos drehen. Deshalb versteht sich Multiplicity eher als Think-Tank, der an immer neuen Projekten zu Migration oder den verschärften Grenzen an den Rändern Europas arbeitet. Der Österreicher Oliver Ressler wiederum sieht seine Aufgabe darin, den Widerstand auf der Straße an die theoretische Auseinandersetzung mit Globalisierung zu koppeln, weshalb in seinen Videos neben Bildern von Demonstrationen hauptsächlich Politologen, Stadtsoziologen und liberalismuskritische Wirtschaftswissenschaftler zu Wort kommen.

Nach einem Dutzend Vorträgen, Arbeitsproben und Videoschnipseln wurde aber auch deutlich, warum das Politische in der Kunst schwer zu greifen ist. Sobald sich Künstler mit der Visualisierung und Wahrnehmung von gesellschaftlichen Problemen beschäftigen, geraten die Methoden durcheinander. Einerseits will offenbar niemand auf die Vorbildfunktion der Kunst bei der Bewusstmachung von sozialen Missständen verzichten; zum anderen gehört es zum Selbstverständnis von Künstlern, die eigene Rolle auch als Teil der Bewegung mit zu reflektieren und abzubilden. Deshalb muss sich Kunst immer wieder Auszeiten nehmen, um das Geschehen ästhetisch zu hinterfragen – sonst wären Künstler keine handelnden Subjekte, sondern Erfüllungsgehilfen. Das Politische auf den Begriff zu bringen, es womöglich ins Bild zu setzen und öffentlich zu machen, das ist keine schlechte Aufgabe für die Kunst. Manchmal muss sie dabei auch im eigenen Lager Unruhe stiften. Dafür war die „Klartext!“-Konferenz eine gute Gelegenheit. HARALD FRICKE