„Die Initiative muss von unten kommen“

Eine starke Bürgerschaft ist wichtig für Berlin, sagt Leo Penta, Professor für Gemeinwesen in Karlshorst. Nicht die Eliten, sondern vielmehr die Armen und Schwachen müssten viel mehr einbringen. Aber denen werde zu wenig zugetraut

taz: Herr Penta, was bedeutet bürgerschaftliches Engagement für Sie?

Leo Penta: Es bedeutet einerseits freiwilliges Engagement im Sinne von Fürsorge für andere und für das Gemeinwohl. Andererseits aber auch mehr Beteiligung für alle an öffentlichen Prozessen. Bürgerengagement bedeutet, dass Menschen und Gruppen sich gemeinsam einbringen, um einen Platz an dem Tisch zu haben, wo wirklich entschieden wird. Viel zu oft haben nur Akteure aus Politik und Wirtschaft Platz an diesem Tisch.

Braucht Berlin mehr Bürgerengagement?

Es ist klar, dass es eine Stärkung der Zivilgesellschaft geben muss. Gerade in Berlin, mit den Problemen, die wir hier kennen – also der Versorgungsmentalität, der Verfilzung und Korruption, die hier stark etabliert sind; mit Problemen wie hoher Arbeitslosigkeit, Fluktuation, sehr hohen Zahlen von MigrantInnen, mit Gebieten, die entindustrialisiert wurden und jetzt vor sich hin dämmern. Solche Probleme kann man nicht nur von oben beheben. Dazu braucht es eine organisierte Bürgerschaft, die auf einer breiten Basis steht und agieren kann. Deren Themen sind nicht immer die, die von außen eingebracht werden, von den Stadtplanern, von Politikern oder irgendwelchen Gremien.

Wer sollte sich in Berlin engagieren?

Es gibt in Berlin viele Potenziale, die nicht eingebunden werden: die von Neuberlinern, von Migranten, von Altberlinern, die sich zurückgezogen haben. Aber solchen Menschen wird nicht genug zugetraut, sie werden oft abgeschrieben. Ich habe in Berlin das Gefühl, dass man bestimmte Menschen einfach nicht mit am Tisch haben will. Das sind eigentlich die Menschen, die mit da sitzen müssen, damit Missstände behoben und Entwicklungen in Bewegung gesetzt werden.

Wie kann solches Engagement initiiert werden?

Für eine starke Bürgergesellschaft sollen sich zivilgesellschaftliche Akteure selbstständig organisieren, nicht organisiert werden. Staat und Wirtschaft können zwar Rahmenbedingungen dafür bereitstellen, aber die Initiative muss von innen und unten kommen. Eine starke Bürgergesellschaft darf nicht nur ein Betätigungsfeld der Elite und der Einflussreichen werden, sondern vor allem auch der Kleinen und der Schwachen.

Wie kann diese Art von Engagement gefördert werden?

Es geht im ersten Schritt darum, breit angelegte und grenzüberschreitende Beziehungs- und Organisationsprozesse in Stadtteilen zu initiieren. Daraus können dann handlungsfähige Plattformen entstehen. Dazu braucht es meistens eine kompetente Begleitung von Menschen, um sie auf diese Art der Beteiligung vorzubereiten. Dafür müssen in Berlin neue Kräfte mobilisiert werden, zum Beispiel Stiftungen, die explizit in diesem Bereich fördern, Firmen, die Selbstorganisationsprozesse im Stadtteil unterstützen, Politiker und Verwaltungskräfte, die mehr Vertrauen in die BewohnerInnen setzen.

Was kann da ein Kongress überhaupt bewirken?

Der Kongress kann eine Plattform sein zum Gedankenaustausch und zur Knüpfung von Kontakten. Aber eigentlich haben wir von solchen Kongressen, Kommissionen, runden Tischen schon genug in Berlin. Was fehlt, ist die operative Umsetzung. Das erfordert Zeit, das erfordert auch die Ressourcen, die in dieser Stadt größtenteils schwer zu ergattern sind. Wir brauchen kein Zentrum für Bürgerengagement, sondern mehr Bürgerengagement. Vielleicht sollte man den Kongress nicht, wie geplant, jährlich stattfinden lassen, sondern das Geld dafür zwischendurch in konkrete Aktivitäten investieren.

INTERVIEW: IWONA KALLOK