Union ruft im Norden den Kulturkampf aus

CDU-Chefin Merkel erklärt den Streit um die Einheitsschule in Schleswig-Holstein zum Wahlkampfthema Nummer eins. Rot-Grün verteidigt die neue Schulform nach finnischem Vorbild als Patentrezept gegen die deutsche Pisa-Misere

BERLIN taz ■ Der Start verlief, freundlich gesagt, holprig. Vor wenigen Tagen begann die Nord-CDU im Internet eine Meinungsumfrage, was die Schleswig-Holsteiner von der von ihnen so genannten Einheitsschule hielten. Mit diesem Artefakt versucht die CDU für die Wahl zum 20. Februar zu mobilisieren – weil Rot-Grün alle Schulformen unter einem Dach vereinen wolle.

Leider mussten die Webmaster die Umfrage auf der CDU-Homepage gleich wieder stoppen. Mehr als zwei Drittel der Besucher votierten dort für die Einheitsschule. Also versuchte die CDU-Bundeschefin Angela Merkel am Wochenende noch einmal nachzuhelfen. Schleswig-Holstein, so sagte Merkel auf dem Tag der Jungen Union in Ratzeburg, werde zum finalen Kampfplatz für die Existenz des traditionellen deutschen Schulsystems. „Am 20. Februar fällt die Entscheidung für oder gegen das dreigliedrige Schulsystem“, sagte Merkel und empfahl, sich an den Vorbildern im Süden zu orientieren. Der sonst so nette Spitzenmann der CDU in Schleswig-Holstein, Peter Harry Carstensen, sekundiert mit der These, Rot-Grün habe das Land zum Schlusslicht in der Bildung gemacht.

Das ist nicht korrekt. In Mathematik hatten die 15-jährigen Schleswig-Holsteiner bei der Pisa-Studie des Jahres 2000 sogar sehr gut abgeschnitten. Sie lagen knapp hinter den deutschen Spitzenreitern Bayern und Baden-Württemberg. Trotz dieses Ergebnisses bleibt die Schulpolitik aber das einzige echte Aufregerthema im sonst eher müden Landtagswahlkampf. Ministerpräsidentin Heide Simonis will zusammen mit den Grünen die scharfe Trennung zwischen Hauptschule, Realschule und Gymnasium aufheben. In einem sanften Übergang, so wirbt ihre Kultusministerin Ute Erdsiek-Rave (SPD), sollen die bewährten skandinavischen Schulen kommen. Dort werden die Schüler erst jenseits der 9. Klasse nach Leistung getrennt, fünf Jahre später als bislang in Deutschland.

Kronzeugin der SPD ist der Südschleswigsche Wählerverband, die Partei der dänischen Minderheit, der ebenfalls die Schule für alle präferiert. Die Grünen im Norden hätten die Kampagne gern härter. Unter dem Motto „Neun macht klug“ werben sie für die neunjährige Schule für alle – und für einen schnellen Ausstieg Schleswig-Holsteins aus den Vereinbarungen der Kultusministerkonferenz, die das Trennen nach Leistung vorschreiben.

Die Kampagne der Opposition ist ohnehin schon schrill genug. FDP-Fraktionschef Wolfgang Kubick kämpft gegen die rot-grünen Schulpläne mit Postkarten, die an die Vereinigung von KPD und SED in der Sowjetzone Ende der Vierzigerjahre erinnert. Der Handschlag von Rot-Grün steht diesmal für den Zusammenschluss der Schulformen.

Die SPD hält in sehr moderatem Ton dagegen. „Das Motto muss sein: Brücken bauen, Türen öffnen – statt die Auslese noch zu verschärfen“, sagt Bildungsministerin Ute Erdsiek-Rave (SPD). Es gehe ihr nicht darum, „das Land flächendeckend mit Gesamtschulen der bisherigen Art zu überziehen“. Erdsieks Leitbild heißt Freiwilligkeit. Jeder örtliche Schulträger kann die „Schule für alle“ einführen.

Vorbilder gibt es schon jetzt. Zum Beispiel die Insel Fehmarn, wo es für drei verschiedene Schultypen gar nicht mehr genügend Schüler gibt. Die Fehmarner wollen ihr Inselgymnasium retten, indem sie alle Schüler bis zur 9. Klasse auf eine Gemeinschaftsschule nach finnischem Vorbild schicken. Damit die Zahl der Abiturienten wieder steigt.

CHRISTIAN FÜLLER

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