Armenspeisung für Tageskinder

Nach massiven Einschnitten durch Hartz IV weichen Hamburger Tageseltern mit ihren Schützlingen auf Suppenküchen aus. Zuständige Arge-Behörde räumt Fehler bei Umstellung auf Arbeitslosengeld II ein. Tageseltern ziehen jetzt vor Gericht

Von Eva Weikert

Stefanie Stuhlmann kommt fünfmal die Woche in die Suppenküche der St. Ansgar-Gemeinde in St. Pauli. Gestern ging die Tagesmutter mit einem Topf Nudeln mit Hackfleisch nach Hause. Mit dem Start von Hartz IV kann sie es sich nicht mehr leisten, selbst für ihre Tages- und die eigenen Kinder zu kochen. Denn nach dem Gesetz gilt sie als Empfängerin von Arbeitslosengeld II (ALG II), der Erziehungsgeld für die Tagespflege aus Sicht des Senats nicht zusätzlich zusteht. Seit 1. Januar verfüge sie darum monatlich nur noch über 420 Euro, um ihre zwei Schützlinge zu versorgen sowie die eigenen Kinder und sich über Wasser zu halten, berichtet die Alleinerziehende. Gegen die rigide Anrechnungspraxis ziehen jetzt mehrere Tageseltern vor Gericht.

Stuhlmann ist kein Einzelfall: Den Nudeleintopf schenkten die Schwestern von St. Ansgar gestern auch Bettina Kaja von der Altonaer Tageseltern-Kooperative „Die Grashüpfer“, die am Nobistor um Almosen gebeten hatte. Stuhlmann und Kaja gehören zu einer Gruppe von Hamburger Tageseltern, die bis zur Hartz-Reform gleichzeitig Sozialhilfe erhielten (siehe Kasten). Sie lebten von diesem Geld und einem anteilig im Tagespflegesatz enthaltenen Erziehungsgeld. Hartz IV trifft sie mit voller Härte: Die zuständige Arbeitsgemeinschaft (Arge) aus Wirtschaftsbehörde und Arbeitsagentur sieht die Tagespflege als Erwerb an und zieht darum das Erziehungsgeld vom ALG II ab. Dabei verweist sie auf den Bundesgesetzgeber.

Nachdem im Dezember den ersten Tageseltern ihre Bescheide ins Haus geflattert waren, hatte der Hamburger Arbeitskreis Tagespflege gewarnt, dass wegen der Einschnitte allein in Altona 250 Kinder ihre Betreuer zu verlieren drohen. Zudem sei auch das Pflegegeld, das für Essen, Ausflüge und Bastelutensilien für die Kinder vorgesehen ist, vom ALG II abgezogen worden (taz berichtete).

Die Arge räumte gestern erstmals Fehler in der Anrechnungspraxis ein. „Das Pflegegeld ist teilweise angerechnet worden“, so Sprecher Uwe Ihnen. Die Betroffenen müssten sich bei der Arge selbst melden, da „wir diese Fälle im Computer nicht gesondert abrufen können“.

Auch Tagesmutter Brigitte Schön will Widerspruch einlegen. Der Alleinerziehenden stehen nach Arge-Berechnung 398 Euro an „Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes“ zu. Zwar kommen noch Kindergeld und Unterhaltszahlungen ihres Ex-Mannes dazu. Doch nach Abzug der Warmmiete bleiben nur 310 Euro, wie Schön ausgerechnet hat, um vier halbe Tage die Woche ihre zwei Tageskinder zu versorgen sowie sich und die eigenen Sprößlinge durchzubringen. Schön erwägt jetzt, ihre Schützlinge abzugeben. „Dann kann ich meine Karriere vergessen“, sagt Jessica Hruschka, Mutter von Tageskind Ben. „Um die Tagespflege zu retten, muss die Stadt an dieser Stelle korrigieren.“ Die Sozialbehörde beteuert zwar, dass „uns der Bereich wichtig ist“, so Sprecherin Anika Wichert. Doch auch sie verweist auf das Bundesgesetz.

Die Anwälte der Tageseltern sehen indes die Stadt in der Pflicht. „Das Gesetz gibt in beide Richtungen Möglichkeiten“, so Rechtsanwalt Thomas Lampe: „Die Sozialbehörde macht es sich vielleicht etwas leicht, wenn sie auf den Bund verweist.“ Kollege Rainer Willhoeft argumentiert, „das Gesetz ist sehr interpretationsfähig“. Unter Berufung etwa auf den Schutz der Familie könne die Stadt eine Richtlinie zugunsten der Tageseltern formulieren. „Doch Hamburg“, so Willhoeft, „scheint hier einen besonders strengen Maßstab anzulegen.“