Ein wahrhafter Schelmenroman

„Vielleicht bleibt es nur ein Traum, das weiß allein der Wind“: Der Casting-Coach und Choreograf Detlef D! Soost hat seine Autobiografie geschrieben. Wer darin Erklärungsansätze für seinen autoritären Charakter sucht, der wird enttäuscht werden

VON CHRISTIANE RÖSINGER

Detlef D! Soost hat seine Biografie „Heimkind – Neger – Pionier“ verfasst, aber wer ihn bei den Popstars schon unerträglich fand, dem wird er trotz schwerer Kindheit kaum sympathischer werden.

Bekannt wurde Detlef Soost vor allem durch die Pro7-Casting-Show „Popstars“, eine Show, in der junge Leute fit für die Schnellvermarktung durch die siechende Musikindustrie gemacht werden sollen. Dies geschah, indem man sie auswählte, kasernierte, ihnen alle Originalität austrieb und ihnen theatralische Gesten und einen gekünstelten Vortragsstil antrainierte. Detlef D! schüchterte dabei als Coach und Choreograf die Mädchen gerne durch anhaltendes Anschreien ein, Jungs wurden von ihm gern vor versammelter Mannschaft erniedrigt.

„Es ist eine Ostbiografie, die tief bewegt“, lobte Super-Illu das Werk, und D! spricht im Interview von seiner Kindheit als „Hardcore-Hölle“. Leser, die in Herkunft und Heimgeschichte, in erlebten Repressalien und Ausgrenzung die Ursachen für D!s ausgeprägt autoritären Charakter suchen und damit die Schuld in seinem Umfeld suchen, werden im Grunde enttäuscht. Denn im Heim begegnete D! verständnisvollen Pädagogen, wegen seiner Hautfarbe wurde er zu DDR-Zeiten nie diskriminiert, und das Thema „Junge Pioniere“ kommt, anders als der Titel vermuten lässt, gar nicht vor. Die Botschaft des Biografen wird schon im Vorwort verkündet: „Ich wuchs über mich hinaus und das Unmögliche wurde möglich.“

Stilistisch ist „Heimkind – Neger – Pionier“ natürlich eine Zumutung. Die verarmte Bravo-Sprache, die Klischees und falschen Bilder sind auf Dauer sturzlangweilig. Da „fällt die Fassade der Coolness zusammen wie ein Kartenhaus“, da enden Beziehungen als Scherbenhaufen. Da räsonniert ein nachdenklicher D!: „Ich sammelte Mädchen ein, wie andere Leute Laub zusammenfegen“, oder: „Vielleicht bleibt es nur ein Traum, das weiß allein der Wind.“

Trotz dieser stilistischen Ausfälle und fehlender Erklärungsansätze zu Soosts sadistischen Erziehungsmethoden ist das Buch hin und wieder auch ganz unterhaltsam. In den ersten Kapiteln geht es zunächst um die Sinn- und Ich-Suche, denn ein Schleier liegt über der Kindheit des Tänzers. Durch Recherchen und Befragungen erfährt Detlef S. immer mehr über seine frühen Jahre, seinen Vater, die Krankheit der schizophrenen Mutter, die Einweisung ins Heim. Dabei sind einzelne Szenen durchaus spannend erzählt, ein Höhepunkt bildet der historische Moment der Urausstrahlung des Michael-Jackson-Videos „Thriller“ im deutschen Fernsehen. D! und die anderen Heimkinder werden vom Tanzfieber erfasst, ein wahrhaft prägender Moment im disziplinierten Leben des späteren Choreografen. Denn D! kämpft für seinen Traum, lernt Jazztanz im Dienstleistungswürfel der Lichtenberger Wohnsiedlung, arbeitet als Model, tourt mit Modeschaugruppen durch die DDR, später organisiert er Tanzauftritte in den Einkaufszentren im Speckgürtel Berlins.

Im zweiten Drittel gerät die Biografie gar zum Abenteuer- und Schelmenroman. Denn der Mauerfall bringt auch D!s Welt durcheinander, er fällt auf die falschen Versprechungen des Kapitalismus herein. So trägt D! in den wilden Neunzigern stets einen bordeauxroten Anzug, fährt einen BMW mit Ledersitzen und versucht sich als Imbissunternehmer, Zigarettenschmuggler, Finanzberater, Versicherungsagent. Aber nichts ist umsonst in D!s Leben, im Marketing lernt er viel Rhetorik, außerdem muss er schon da Motivationsbücher lesen. Keine schiefe Bahn veranlasst D!, auch nur ein bisschen netter zu werden.

Das vorletzte Kapitel „Der Weg nach oben“ führt uns in die Gegenwart. Der Aufstieg des Tänzers D! erfolgt zuerst über die Schlagerbranche, schon bald arbeitet er mit Jeanette Biedermann und Sarah Connor zusammen. Der vorläufige Höhepunkt seines Schaffens natürlich: Popstars. „Ich verhalf jungen Menschen zum Erfolg“, berichtet der bescheidene Biograf.

Im letzten Kapitel „Wunder zum Schluss“ lässt Detlef Soost noch einmal seiner Neigung zu Kitsch und Pathos freien Lauf und erzählt, wie er endlich seine Halbgeschwister findet und sich auf die Suche nach dem Vater macht: „Es ist Freitag.Vor mir liegt das Flugticket nach Ghana. Ich werde den Weg zu Ende gehen.“ Doch auch auf diesem Weg wird wohl leider nur dieses gelten: Was uns nicht umbringt, macht uns härter.

Detlef Soost: „Heimkind – Neger – Pionier. Mein Leben“. Wunderlich Verlag 2005, 14,90 €