„Die Patienten kommen erst mit Fieber“

Die Hausärztin Angelika Prehn hat beobachtet, dass Patienten Krankheiten verschleppen und Tabletten teilen, um die Praxisgebühr zu sparen. Wer hingegen den Arzt nur besuche, um mal zu reden, komme gleich mehrmals pro Quartal

taz: Frau Prehn, kommen Patienten zu spät zu Ihnen zur Behandlung, weil sie die Praxisgebühr sparen wollen?

Angelika Prehn: Ja, das kommt sogar relativ häufig vor. Viele verschleppen Krankheiten, kommen erst, wenn es wirklich schlimm ist. Die Praxisgebühr ist zur Hemmschwelle für den Arztbesuch geworden.

Auf welche Patienten trifft das zu?

Nicht nur auf Sozialhilfeempfänger, sondern auch auf sozial Schwache. Eine Mutter mit zwei Kindern in schwieriger finanzieller Lage zum Beispiel überlegt sich dreimal, ob sie die 10 Euro ausgibt. Da geht sie lieber mit ihren Kindern zum Arzt und nimmt zur Not deren Medikamente, die aber viel zu schwach sind, mit ein. Das ist grotesk. Außerdem versuchen vor allem ältere Menschen, nötige Arztbesuche über ein Quartal hinweg hinauszuzögern, um die Gebühr einmal einsparen zu können. Dann teilen sie sogar Tabletten, um die Zeit zu überbrücken. Auch Studenten, die mit Mühe ihr Studium finanzieren, sind betroffen.

Ihre Praxis liegt in Friedrichshain, wo 2004 die Behandlungsfälle um 10 Prozent zurückgegangen sind.

Auch ich merke das. Schon innerhalb der vergangenen zwei Jahre saßen weniger Patienten im Wartezimmer. Mit der Praxisgebühr fangen die Kosten ja erst an, wer noch Medikamente selbst bezahlen muss, ist schnell beim doppelten, dreifachen Betrag für eine Behandlung. Oder sie müssen noch zum Zahnarzt, was wieder 10 Euro Gebühr kostet. Man sieht auch, dass die Patienten, wenn sie die Gebühr bezahlt haben, in dem entsprechenden Quartal öfter kommen. Und zum Ende des Jahres hin wurden es wieder deutlich mehr Patienten, weil viele von ihnen eine Befreiung von der Praxisgebühr vorweisen konnten, nachdem ihre Belastungsgrenze überschritten war.

Viele Patienten bezahlen die Gebühr aber auch gar nicht.

Wir müssen im Notfall behandeln, auch wenn jemand ohne Geld kommt. Die Gebühr ist uns deshalb weiterhin ein Dorn im Auge. Es ist ungerecht, dass wir das Geld als Handlanger für die Krankenkassen einziehen müssen. Wir sind es, die von den Patienten beschimpft werden, uns geht die Zeit verloren, die wir in der Sprechstunde dringend brauchen. Es muss jeden Tag abgerechnet werden, man muss den Überblick behalten, wer bezahlt hat und wer nicht. Man muss säumige Patienten mahnen, und wenn es von der Praxis aus nicht gelingt, das Geld zu bekommen, ist die Kassenärztliche Vereinigung damit beschäftigt, es einzutreiben.

Aber reduziert die Praxisgebühr nicht unnötige Arztbesuche von Patienten, die eher Kommunikation suchen?

Nein, wer den Arztbesuch psychisch braucht, der kommt auch weiterhin. Wenn er die Gebühr einmal bezahlt hat, meist auch öfter im Quartal. Es kommen eher weniger Patienten mit leichten Erkrankungen. Ein Patient kann den Schweregrad einer Erkrankung aber nicht selbst beurteilen. Früher kamen sie zum Beispiel auch mit einem Husten, jetzt sitzen sie erst im Wartezimmer, wenn die Luft knapp wird oder Fieber hinzukommt.

Ziel der Praxisgebühr war ja, den Hausarzt zum „Lotsen“ zu machen, der die Behandlungen durch Fachärzte koordiniert. Funktioniert das?

Eher nicht. Es dürfen ja alle Ärzte Überweisungen schreiben. Und wer einmal befreit worden ist, weil seine Belastungsgrenze überschritten ist, geht sowieso auf eigene Faust zu den Fachärzten. Da kann ich als Hausärztin nicht mehr überblicken, wo und wie der Patient behandelt worden ist. Er muss es mir wieder selbst erzählen, um beispielsweise Wechselwirkungen von Medikamenten zu verhindern.

INTERVIEW: JULIANE GRINGER