Tausendundeine Nummer

Arabiata: Telefonterror im Irak. Wer hat die längste Leitung im ganzen Land?

Unter Saddam Hussein waren Handys verboten. Obwohl es gar kein Handynetz gab

AMMAN taz ■ Unter Saddam Hussein waren Satellitentelefone verboten. Handys ebenfalls. Obwohl es gar kein Handynetz gab. Und lediglich ein Haushalt von tausend besaß in Bagdad eine Festnetznummer. Die war sogar vom Ausland aus erfolgreich anzurufen – unter steter Benutzung der Wahlwiederholungstaste; bei alten Telefonen ein Traum aus tausendundeiner Wahlscheibe. Nach dem Ende der „Hauptkampfhandlungen“ waren sie ganz kaputt. Heute funktionieren sie wieder, aber nur mehr innerhalb des Stadtteils, in dem sie selbst liegen. Heißt: Wer jemanden im Bagdader Viertel Mansur anrufen will, muss das von einem Anschluss aus erledigen, der sich in Mansur befindet. Dumm für jene, die am anderen Ende der Stadt wohnen. Oder der Welt.

Eben weil derartige Anschlüsse kaum nützlich sind und Handys wegen des Hussein’schen Verbots sowieso killepalle waren, stieg nach dem Krieg im Irak der Absatz von Satellitentelefonen. Da wäre zum Beispiel die mit der Vorwahl 00 87: Die Antenne wird aufs Dach montiert – und schon ist mit dem tragbaren Telefon fröhlich schnattern. Zumindest von zu Hause aus. Denn: Die gesamte Anlage ist so schwer, dass allenfalls Journalisten mit ihr umherziehen.

Zudem gibt es Firmen, die mobile Satellitentelefone anbieten. Eine, deren Nummern mit 0 08 82 16 beginnen, hat sich im Irak durchgesetzt, trotz aller Nachteile: Wer telefonieren will, muss sich diesen Wunsch unter freiem Himmel erfüllen. Die Antenne braucht ungestörten Kontakt zum Satelliten. Deshalb auch sind Fensterplätze in irakischen Restaurants höchst begehrt. Irgendwie gelangt das Signal zumeist doch noch gerade bis zum Tisch. Wenn’s klingelt, stürzen die Angerufenen vor die Tür, um dann zumeist doch in die Leere des Alls zu brüllen: „Allo! Allo …!“ Kontakt abgerissen; Essen kalt. Mit diesen Geräten kann man überall anrufen, allerdings fast nirgends Anrufe entgegennehmen.

Wenngleich sie auch sonst offensichtlich nicht viel über den Irak wussten, dass sie Kommunikationsprobleme haben würden, müssen die US-Amerikaner vor dem Krieg geahnt haben. Jedenfalls richteten sie in den Wochen nach ihrer Machtübernahme ratzfatz ein kleines, feines Handynetz ein – zugänglich ausschließlich für sie und ihre Vertrauten. Wenn jemand ein Telefon hat mit der langen Vorwahl 0 01 91 43 60, wissen Iraker und Irakreisende sofort: Der Besitzer ist Besatzer. Zumindest aber einer seiner Beschützten.

Da in der breiteren Bevölkerung das Bedürfnis nach Telekommunikation größer wird, erteilte die US-Zivilverwaltung vorvergangenen Oktober drei arabischen Mobilnetzbetreibern den Auftrag, im Nord-, Süd- und Zentralirak allgemein zugängliche GSM-Systeme aufzubauen. Seit kurzem klingeln die ersten irakischen Handys jetzt in Bagdad, mit der Vorwahl 00 96 47 90. Der Nordirak soll als Nächstes folgen. Dann wird in Erbil, Dohuk oder Zakho ein dritter Handybetreiber seine Dienste anbieten. Denn zwei gibt es schon seit Jahren. Nachdem die Kurden 1991 ihre Autonomie deklarierten, kamen eine britische und eine belgische Firma, um ihre Handys unters Volk zu bringen – mit der Vorwahl 00 44 beziehungsweise 00 32.

Haben Sie mitgerechnet? Wissen Sie, wie viele Telefonnummern beispielsweise ein hochrangiger Kurde mit Wohnsitz in Bagdad und Erbil zurzeit haben kann? Mindestens? Zwei Festnetznummern, zwei Satellitennummern, dazu eine US-amerikanische und zwei kurdische Handynummern. Macht sieben. Demnächst folgt eine dritte kurdische Nummer. Und eine E-Mail-Adresse hat sowieso jeder. In solchen Fällen werden Visitenkarten zu Visitenkatalogen.

BJÖRN BLASCHKE