PVC-Infusionsschläuche gefährden Frühchen

Während der giftige Weichmacher DEHP in Spielzeug längst verboten ist, wird er Frühgeborenen auf Intensivstationen ungewollt praktisch direkt in den Körper geleitet. Eine Kennzeichnung der riskanten Plastikprodukte gibt es nicht

BERLIN taz ■ Leberversagen ist eine häufige Komplikation auf Frühchen-Intensivstationen – und oft nur der Anfang. Der Ausfall weiterer Organe droht, dauerhafte Hirnschädigungen sind möglich. Die Ursache ist möglicherweise hausgemacht: Über die PVC-Infusionsschläuche zur Beatmung oder künstlichen Ernährung nehmen die Kinder auch den Weichmacher DEHP auf – in Dosen, die am winzigen Gewicht der Frühgeborenen gemessen, gigantisch sind. Eigentlich soll DEHP den Kunststoff nur geschmeidig halten, es neigt aber zur Ausgasung und wäscht sich bei ständigem Kontakt mit Flüssigkeit aus. Über die Infusionsnadel gerät es so mit der Nahrung direkt in den Blutkreislauf.

DEHP hat eine giftige Wirkung auf das Fortpflanzungssystem. Bei Männern kann es die Fruchtbarkeit verringern und die Spermienproduktion drosseln. Trächtige Ratten, die täglich DEHP-haltiges Wasser tranken, gebaren Nachkommen mit gestörter Hormonproduktion und Zysten an den Eierstöcken. Auch Totgeburten oder schwere Fehlbildungen wurden überdurchschnittlich häufig beobachtet. Föten, Neugeborene, Kinder und Schwangere reagieren besonders empfindlich auf DEHP.

In Kinderspielzeug ist der Weichmacher deswegen schon längst verboten, an das im Krankenhaus verwendete Plastik hatte da aber offenbar niemand gedacht. Besonders neue Infusionsschläuche seien ein Risiko, erklärt Patricia Cameron, Chemie-Expertin beim Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). „Nach 24 Stunden entweichen rund 50 Prozent des DEHP.“ Aber auch Spritzen, Beatmungsmasken, Blut- und Nährstoffbeutel sind mit dem Weichmacher versetzt.

Meist sei sich das medizinische Personal der Gefahr gar nicht bewusst, so Cameron. Während die Chemikalie mit dem Totenkopfsymbol und der Warnung „Giftig“ versehen werden muss, gilt für Endprodukte keine Kennzeichnungspflicht.

Für eine Studie untersuchten BUND und die Gesundheitsorganisation Health Care Without Harm 40 gebräuchliche medizinische PVC-Produkte aus deutschen, französischen, österreichischen, polnischen, schwedischen, spanischen und tschechischen Klinikabteilungen für Neugeborene. Mit nur einer Ausnahme enthielten alle DEHP-Mengen von 17 bis 41 Prozent ihres Gewichts. Die Studie zeigte aber auch: Es geht auch ohne. Krankenhäuser in Österreich, Schweden, Tschechien und den USA haben bereits begonnen, PVC-Produkte durch ungefährliche Kunststoffe zu ersetzen.

Der BUND fordert die Bundesregierung auf, sich für eine Änderung der EU-Richtlinie für medizinische Produkte einzusetzen. Giftige Weichmacher sollen nur noch erlaubt sein, falls es keine Alternativen gibt. Eine europäische Strategie soll laut BUND zwar entwickelt sein, aber auf Druck der Chemieindustrie zurückgehalten werden. Heute veranstaltet das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte ein Expertengespräch zu DEHP. MARTINA JANNING