Politik vorm Kopp

Er redet gern und tritt freundlich-naiv auf. Aber als Regierungschef würde er die Sicherheitspolitik verschärfen und sozialen Einrichtungen Gelder kürzen

AUS KIEL ESTHER GEISSLINGER

Peter Harry. Nein, so: Pädahaarie, in einem Wort, mit Betonung auf dem ä. Leute, die über ihn sprechen, neigen dazu, ihn beim Vornamen zu nennen, selbst wenn sie ihn gar nicht so gut kennen. Darum ist es ein wenig erstaunlich, dass Edmund Stoiber angeblich manchmal von Harry-Peter spricht. „Harry-Peter“ hört sich ein bisschen wie Suppenkasper an. „Pädaharrie“ dagegen klingt gemütlich-norddeutsch: Man ist gedanklich per Du mit ihm.

Peter Harry Carstensen will bei der Wahl am 20. Februar Ministerpräsident von Schleswig-Holstein werden. Er tritt für die CDU an, der er seit 1971 angehört und für die er fünfmal direkt in den Bundestag gewählt wurde. Carstensen – Pädahaarie – ist ein echtes Nordlicht, geboren auf der Insel Nordstrand, einem flachen Streifen Land in der Nordsee, nahe der Storm-Stadt Husum. Auf Nordstrand gibt es eine Schäferei, den Fähranleger Strucklahnungshörn, viele Außen- und Binnendeiche, auf denen Schafe weiden. Von Nordstrand stammt der Pharisäer, jene Mischung aus Kaffee, Rum und Sahne, die erfunden wurde, um einem Pastor vorzugaukeln, niemand tränke Alkohol. Nordstrand besteht aus zwei Gemeinden. In der kleineren, Elisabeth-Sophien-Koog, ist der Halbbruder von Peter Harry Bürgermeister. Carstensen kennt Land und Leute. Umgekehrt sieht es etwas schlechter aus, seine Konkurrentin Heide Simonis ist deutlich bekannter. Dabei kommt sie nicht aus dem Norden, sondern aus Bonn. Aber das ist nun wieder weniger bekannt.

Überall an der Küste gibt es Männer, die Carstensen ähneln, rundes Gesicht, gepflegter weißer Bart. Würde er die randlose Brille ablegen und den Anzug mit Hemd und Jeans tauschen, er würde gut auf ein Boot passen – sein erster Berufswunsch war, auf einem Seenotrettungskreuzer Dienst zu tun. Carstensen ist groß, die Stimme laut, und wenn er einen Raum betritt, füllt er ihn aus. Er gehört zu jenem Schlag Norddeutscher, die so gar nichts mit dem Klischee der drögen, maulfaulen Fischköppe zu tun haben. Carstensen redet gern und in klaren Worten. Er sagt zum Beispiel, angesichts der Haushaltslage des Landes sollte jeder Politiker „Schweiß vor dem Kopp kriegen“. Das muss sein Pressesprecher dann streichen, weil es zu wenig nach Politiker-Sprech klingt. Aber manchmal ist sein Pressesprecher nicht dabei, oder es hören zu viele Leute zu, und die zitieren dann: „Es muss bauz machen.“ Oder: „Wir wollen an die großen Zeiten unter Barschel anknüpfen.“ Barschel, das war der mit dem Ehrenwort. Carstensen redet gern, und nicht immer kommt etwas Kluges dabei heraus.

Dabei ist Carstensen Berufspolitiker – er lebt seit über zwei Jahrzehnten von und mit der Politik. Er saß im Bundestag, aber nie in der ersten Reihe. Jahrelang leitete er den Agrarausschuss – kein Job, der einen ständig in die Öffentlichkeit bringt. Sein bisher wichtigster Posten war ein „Was wäre, wenn“-Amt: Carstensen gehörte als designierter Agrarminister Stoibers Schattenkabinett an. Stoiber, der heute seinen Vornamen nicht mehr weiß. Dennoch: Bei so langer Erfahrung in diesem Job müsste Carstensen begriffen haben, wie Politik läuft. Unter dieser fast naiven Fröhlichkeit, die er vor sich herträgt wie einen Schild, müsste sich ein an Intrigen geschulter Verstand verstecken. Oder doch nicht? „Er hat nie schlechte Erfahrungen gemacht, er vertraut den Menschen“, erklärt jemand, der ihn gut kennt. Heide Simonis sagte über ihren Gegner: „Er ist ja ein netter Mensch, das möchte man ihm nicht absprechen. Die Frage ist nur, ob die Menschen erkennen, dass er nur ein netter Mensch ist.“

Seit Carstensen Landesvorsitzender und nun Spitzenkandidat ist, schauen die Leute genauer hin, was das für einer ist, der sich da bewirbt. Der Kandidat ist durchaus bereit, sich der Öffentlichkeit zu zeigen – und macht dabei auch schlechte Erfahrungen. Einmal fand er sich in der Bild-Zeitung als einsamer Witwer wieder, der schon mal eine First Lady suche: „Bild leitet alle Zuschriften und Fotos an Peter Harry Carstensen weiter.“

Er habe, sagt er, auf ein Problem hinweisen wollen, auf die Einsamkeit nach dem Tod eines Ehepartners. Dass Bild nun die Suche nach einer Frau daraus mache, habe ihn überrascht, sagt Carstensen. Seine Frau starb Ende 1998 an Krebs; sie, ihr Mann und die zwei Töchter hatten nur wenige Monate vorher von der Diagnose erfahren.

„Er wollte einfach zeigen: Seht her, so bin ich“, erklärt eine gute Bekannte Carstensens. Nett, offen und ein bisschen naiv: Das kann nach hinten losgehen. So auch in einem anderen Fall. Zu einer halb privaten Veranstaltung hatte Carstensen einen Sozialdemokraten eingeladen und ohne dessen Wissen das Treffen auf der Internetseite der Partei angekündigt. Zum empörten Staunen des SPD-Mannes, der sich als Wahlhelfer der CDU eingespannt sah. Carstensen hatte es doch nur gut gemeint und war verwundert über den Ärger. Es ist schwer, sich einen Ministerpräsidenten vorzustellen, der gehäuft solche Fehler macht.

Seit mehreren Wochen gab es keine gravierende Panne mehr bei der CDU Schleswig-Holstein, und das ist schon ein Lob wert nach dem missratenen Wahlkampfauftakt. Dabei schien alles so klar: Angesichts der politischen Großwetterlage sah es so aus, als ob die CDU das nördlichste Bundesland gelassen einstecken könnte. Sicher ist Heide Simonis eine starke Gegnerin, sie genießt Vertrauen im Land, ihr persönlicher Sympathiebonus ist hoch.

Vor fünf Jahren setzte die CDU Volker Rühe dagegen, der stand für Bundespolitik und ein bisschen große Welt, und er besitzt ein Ferienhaus auf der Halbinsel Eiderstedt, gar nicht so weit weg von Nordstrand. Aber das reichte nicht aus, die CDU steckte im Spendenskandal, Rot-Grün siegte wieder.

Diesmal hat die CDU also einen Mann, der gerne lacht und volkstümlich redet, einen, der auf der Beliebtheitsskala Simonis vielleicht einmal überholen könnte. Aber nach dem Bild-Auftritt, der die Leute landauf, landab die Augenbrauen hochziehen und „Na!“ sagen ließ, auf Norddeutsch ein Ausdruck deutlicher Missbilligung, passierte die Sache mit dem Schattenkabinett: Statt die Mannschaft in großem Stil zu präsentieren, reichte es nur zu einer überstürzten Aktion auf einem kleinen Parteitag – die schief ging. Der Frauenanteil im „Kompetenzteam“ tendierte gegen null.

Noch peinlicher: Der Vorstandschef der Holding des Ostseebades Damp, Dr. Carl Hermann Schleifer, den Carstensen als Wirtschaftsminister vorstellte, winkte wenige Tage später ab; auch andere Positionen ließen sich nicht wie geplant besetzen. Kurz darauf wollte Carstensen einen ehemaligen Barschel-Mitarbeiter ins Team holen. Selbst die konservative Presse Schleswig-Holsteins spottete, und das heißt schon einiges. Die Umfragewerte sanken, sie erholen sich nur langsam wieder. In dieser Zeit fragten sich Parteimitglieder, ob sie mit der Wahl ihres Kandidaten einen Fehler gemacht haben.

Peter Harry Carstensen hat das, was man eine konservative Grundeinstellung nennen könnte – mit allem, was dazugehört. Das bringt manchmal Widersprüche mit sich, die der Hobbyjäger nicht dafür hält: Er hat sich für Windkraft eingesetzt, ist aber für Atomkraftwerke, weil nur die seiner Meinung nach genug billigen Strom liefern können.

Sein Fachgebiet ist Landwirtschaft, mit Betonung auf Wirtschaft. Er will viele neue Straßen bauen und Flughäfen eröffnen. Er will an allen Schulen das Rauchen verbieten und das Schulsystem dreigliedrig belassen, weil eine gemeinsame Schule „Gleichmacherei“ bedeute. Er will die Rechte der kleinen Gemeinden nicht antasten, aber ein Rankingsystem einführen, was immer das heißen soll. Er will jede Entscheidung an vier Kriterien messen: „Schafft es Arbeitsplätze, dient es der Vereinbarkeit von Beruf und Familie, verbessert es die Zukunftschancen der jungen Generation, stärkt es das ehrenamtliche Engagement?“ Was nicht mindestens eine dieser Forderungen erfülle, könne sich das Land nicht mehr leisten, sagt Carstensen. Er will, wenn er Ministerpräsident wird, den Haushalt sanieren und die Wirtschaft voranbringen. Dazu, meint er, reiche es erst einmal aus, dass eine neue Koalition an der Regierung ist. „Weil die Menschen zu der jetzigen Regierung kein Vertrauen mehr haben“, sagt er. Weil die Grünen seit Jahren alles blockierten, weil nur Schulden angehäuft werden. Unter Schwarz-Gelb wäre alles anders. Erstens aus sich selbst heraus, zweitens weil die CDU die schwierigen Aufgaben anpacken würde.

Wird alles das umgesetzt, was die CDU in ihren Programmen aufgeschrieben hat, wird das Leben in Schleswig-Holstein in Zukunft ungemütlicher, da kann der Spitzenkandidat noch so nett lachen: Viele soziale Einrichtungen würden nicht mehr gefördert werden, da ihre Ziele nicht den vier genannten entsprechen. Die Sicherheitspolitik will die CDU deutlich verschärfen: Videoüberwachung, finaler Rettungsschuss und die „vorübergehende Sicherheitsverwahrung bekannter Störer im Vorfeld von Veranstaltungen“ sind Dinge, die im Wahlprogramm stehen.

„Wir können gewinnen. Und wir werden gewinnen.“ Das sagt Carstensen zurzeit sehr oft.