: Der begehrteste Mann im Universum
Vor 100 Jahren veröffentlichte Albert Einstein die Relativitätstheorie. Das wird nun gefeiert – auch in Berlin. 1914 hatten ein Leitungsposten und eine Frau Einstein in die Stadt gelockt. Er blieb 18 Jahre. Ein Stadtspaziergang auf den Spuren des Genies
VON JULIANE GRINGER
Man glaubt, es sich gut vorstellen zu können, wie Albert Einstein durch die Straßen Berlins lief. Wirkt er doch auf Fotos immer so real und sympathisch, dass man fast meint, ihn zu kennen. Oder ihn gemocht zu haben, hätte man ihn denn kennen gelernt. Jedenfalls hatte er wahrscheinlich meist den Geigenkasten dabei, wenn er durch die Hauptstadt streifte. Die Haare waren sicher nicht gekämmt. Und er hat garantiert mit einer Sache nie aufgehört: immerfort zu grübeln.
Der geniale Kopf Albert Einstein, der allen die Zunge zeigte, hat auch Berlin geprägt. Denn hier hat er ganze 18 Jahre lang gelebt und geforscht. Ein neuer Stadtspaziergang des Vereins StattReisen Berlin zeichnet die Wege des Physikers in der Stadt nach.
Der Rundgang beginnt und endet an Orten, an denen in diesem Jahr Sonderausstellungen über Einstein eröffnen werden: dem Kronprinzenpalais und dem Centrum Judaicum, wo vor dem Zweiten Weltkrieg die von Einstein regelmäßig besuchte Synagoge beheimatet war.
„Einstein war Physiker, Mathematiker, Philosoph, Träumer – die Beschreibungen reichen weit“, erklärt Ralph Hoppe. Hoppe ist schneller einzufassen: 42 Jahre alt und seit 15 Jahren Stadtführer. „In den Jahren, in denen Einstein in Berlin lebte, wurde er rasend schnell populär.“
Besonders am Boulevard Unter den Linden ist Einsteins Erbe greifbar. Hier hat er gearbeitet und gelehrt. Hausnummer 8, Sitz der Akademie der Wissenschaften, und Hausnummer 6, die Humboldt-Universität, waren Einsteins wohl wichtigste Adressen während seiner Zeit in Berlin.
1914 kam er in die Stadt, die damals als das Zentrum der naturwissenschaftlichen Forschung galt. Er verließ dafür Zürich, um in Berlin Leiter des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Physik zu werden. Das Institut saß in Dahlem, dorthin zog Einstein in die Ehrenbergstraße. Außerdem wurde er in Berlin Mitglied der Akademie der Wissenschaften. In deren Diensträumen in der Staatsbibliothek Unter den Linden trafen sich die Forscher regelmäßig, um sich Ergebnisse ihrer Arbeit vorzustellen. Einstein präsentiert in so einem Kolloquium 1915 auch den Abschluss seiner Arbeit an der Allgemeinen Relativitätstheorie. „Und bei seinen Kollegen hörte er immer interessiert zu und fragte nach“, weiß Ralph Hoppe.
Einstein lehrte an der Humboldt-Universität, auch wenn er dazu nicht verpflichtet war. Bis Anfang der 20er-Jahre las er vor den Studenten über theoretische Physik, bis in die 20er hinein gab er Proseminare. Einsteins Stoff ist kein leichter. Vielleicht besuchten deswegen meist nur acht bis zehn Leute die Veranstaltungen – die wissenschaftlichen Assistenten mit eingerechnet.
Doch nach 1919 setzte ein regelrechter Run auf das Genie ein. Die Allgemeine Relativitätstheorie hatte Einstein zwar schon 1915 aufgestellt. Aber erst vier Jahre später konnte sie im Versuch einer britischen Expedition bei einer Sonnenfinsternis bestätigt werden – nun wurde Einstein schlagartig international bekannt. In Potsdam wurde daraufhin der Einstein-Turm errichtet, um weiter zum Thema forschen zu können. Und die Medien überschlugen sich, die Leute erkannten Einstein, wo immer er auftauchte.
„Er mochte diese Öffentlichkeit gar nicht“, erzählt Ralf Hoppe. Der Wissenschaftler habe es gehasst, angestarrt zu werden. Trotzdem habe er sich auf Benefiz-Veranstaltungen sehen lassen und seine Bekanntheit für politische und soziale Ziele genutzt.
Doch schon im Sommersemester 1922 brach Einstein die Vorlesungen für Studenten ab. Er hatte Angst vor Übergriffen auf ihn als Juden. „Nach dem Anschlag auf Walther Rathenau im Juni 1922 fühlte er sich nicht mehr sicher“, erklärt Ralph Hoppe. „Wahrscheinlich ist er auch direkt angefeindet worden.“
Populärwissenschaftliche Vorträge, die bei einem breiten Publikum beliebt waren, hielt Einstein weiterhin, noch bis Mitte der 20er-Jahre im Audimax der Humboldt-Universität, beispielsweise über „Theoretisches und Experimentelles zur Lichtentstehung“.
Einstein war damals offenbar eine Art Popstar. Zeitzeugen berichten von „Frauen in Pelzmänteln“, die Operngläser bei sich führten, um in den Hörsälen einen Blick auf den Physiker zu erhaschen. Der Begehrte selbst aber pflegte dann eine Pause zu machen mit der Aufforderung, es sollten nun bitte diejenigen den Saal verlassen, die sich nicht ernsthaft für den Stoff interessierten. Eine feste Professur strebte Einstein nie an, Forschung sagte ihm mehr zu als Lehre.
Ralph Hoppe führt die Stattreisenden nun von der Humboldt-Universität zur amerikanischen Botschaft. Denn die USA konnte Einstein als einen der ihren betrachten – ab 1940 besaß er die US-Staatsbürgerschaft. Schon seit 1901 war Einstein auch Schweizer, kurzzeitig auch mal Österreicher. Seine erste Staatsangehörigkeit hatte der gebürtige Deutsche bereits 1896 abgelegt. Mit Blick auf das frühere Kaiserliche Patentamt in der Luisenstraße erinnert Stadtführer Hoppe an Einsteins Wirken als Erfinder. 50 Erfindungen gehen auf Einstein zurück. Er entwickelte zum Beispiel einen Kühlschrank mit, der ungefährlich im Haushalt zu benutzen war.
Mehrmals ist Einstein umgezogen in Berlin. Lange lebte er in der Haberlandstraße in Schöneberg. Wie es ihm in seinen 18 Jahren in der Stadt gefallen hat, lässt sich schlecht nachvollziehen. „In der Presse oder auch in der Öffentlichkeit hat er sich nicht dazu geäußert“, berichtet Hoppe.
Bei den Recherchen des Stadtführers über Einsteins Jahre in Berlin blieben noch einige Fragen offen. Wie hat er sich zum Beispiel fortbewegt? „Ich habe mich gefragt, ob er gelaufen ist, Tram, Bus oder U-Bahn gefahren ist“, meint Hoppe. „Als er in Schöneberg wohnte, ist er vielleicht mit der heutigen U4 zur Arbeit gefahren.“ Wahrscheinlicher ist, dass Einstein bei Bedarf auf die Autos und deren Fahrer von Freunden zurückgriff, um größere Strecken in Berlin zurückzulegen. „Er hatte ja schon ein Telefon, er konnte sie anrufen, wenn er wollte.“
Details dagegen kennt man aus Einsteins Liebesleben. „Er hat die Frauen nicht immer gut behandelt“, sagt Hoppe. „Hier stimmt wohl das Klischee vom Genie, das eben doch nicht in allen Bereichen des Lebens vollkommen ist.“ Es war nicht nur das Angebot der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, sondern auch eine Frau, die Berlin für Einstein attraktiv machte. Er hatte ein Auge auf seine Cousine Elsa Löwenthal geworfen, die hier lebte. Dabei war er noch mit Mileva, einer Kommilitonin aus der Studentenzeit, verheiratet und erzog mit ihr auch die zwei gemeinsamen Kinder. Er riskierte, dass Mileva in Berlin wegen der Nähe zur Konkurrentin mürbe werden würde. Und nur ein halbes Jahr nach ihrer Ankunft in Deutschland ging sie tatsächlich mit den Kindern zurück nach Zürich. Albert heiratete Elsa und adoptierte deren zwei Töchter.
Elsa muss im Hintergrund einiges ertragen und doch stark auf ihren Mann eingewirkt haben. „Sie sorgte dafür, dass er ein paar ordentliche Anzüge im Schrank hatte“, weiß Ralph Hoppe. „Auf Äußerlichkeiten legte Einstein nicht viel Wert.“
Auch in seiner Berliner Zeit war der geniale Kopf vor allem dem Kamm sehr abgetan: Überall erschien er mit wirrem Schopf. Auch seine Ernährung war ihm egal. Gab es bei öffentlichen Empfängen etwas zu essen, ass er viel und gern. Gab es nichts, dann eben nicht. „Diese Nachlässigkeiten setzten ihm aber arg zu“, erzählt Hoppe. Ein paar Jahre nach seiner Ankunft in Berlin war Einstein krank geworden und abgemagert. Elsa päppelte ihn wieder auf.
Wann immer es ihm möglich war, ging Einstein im Berliner Umland segeln – auch um dem Trubel um seine Person zu entkommen. Schon während seiner Berliner Zeit reiste er regelmäßig in den Wintermonaten in die USA, um Vorträge zu halten. 1932 blieb er dort und kehrte nicht zurück, aus Angst vor einer Verfolgung durch die Nazis in Deutschland. Bis zu seinem Tod 1955 betrat er Deutschland nie wieder.
StattReisen Berlin e.V. bietet den Spaziergang „Alles relativ? Einstein in Berlin“ am 6. Februar um 14 Uhr, vom 6. März bis 8. Mai jeden Sonntag um 14 Uhr und vom 14. Mai bis 1. Oktober jeden Sonnabend um 15 Uhr an. Treffpunkt: Eingang des Kronprinzenpalais, Unter den Linden, gegenüber dem Deutschen Historischen Museum. www.stattreisenberlin.de
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