strafplanet erde: der lange weg zur kräuterteetasse von DIETRICH ZUR NEDDEN
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Die Segnungen einer ausdifferenzierten Warenwelt genießt der solvente Konsument ansonsten vorbildlich souverän. Ausnahmsweise glänzen nun kalte Schweißperlen auf seiner Stirn, die Atmung wird kurz und flach. Ist das Angst oder schon Panik in den fiebrig glühenden Augen? Oder doch bloß Entscheidungsschwäche? Er reißt sich zusammen, will doch nur eine Tafel Schokolade kaufen. Auswahl begrenzen, Fokus auf Milka-Produkte: bleiben 19 geschmacksverstärkte Sorten.

Bevorzugt er den herzhaften Snack, langt er nach einer Bonsaiwurst von Bifi. Soll’s das Original sein, eine Bifi XXL oder eine Bifi Peperami? Bifi Roll, Bifi Roll XXL oder Bifi Roll Peperoni? Und was ist mit den Bifi Balls, den Bifi Minis? Von Bifi Carazza und dito XXL ganz zu schweigen? Ich hab’s verlernt, simplen Kräuter- oder Früchtetee zu trinken. Hagebuttentee schwappt müde nur noch auf bewegten Bildern der Erinnerung an Jugendherberge und Landschulheim. Integraler Bestandteil des Abendbrots, floss der rote Saft aus kolossalen Kübeln ins dickwandige Porzellangefäß.

Der Markt ist gewachsen, ein Gespräch über Kräuterteesorten wird unversehens eines über esoterisch durchwirkte Lebenskonzepte. So was zwanghaft ablehnend – not my cup of tea (dt. nicht mein Bier) –, muss ich trotzdem einräumen, dass ich eine Zeit lang in die Fänge einer Firma namens Golden Temple geraten war. Deren Produktlinie „Yogi Bhajans’s Ayurvedische Kräuterrezepte“ offeriert im Innern Tee, außen auf der Schachtel imperative Vorschläge: „Sitze gerade, die Augen geschlossen. Die rechte Hand ruht auf dem rechten Knie. Verschließe das linke Nasenloch mit dem linken Daumen.“ Anschließend trinken wir freihändig den dazu gehörigen „Klarer Geist Tee“, klaro.

Wer seit je sich vergebens fragte, was er zum Glück brauche, dem wird endlich geholfen: Aus Johanniskraut, Zimt, Fenchel, Ingwer, Kava Kava, Anis, Lakritze, Kardamom, Orangenaroma, Orangenschale, schwarzem Pfeffer und Zitronenaroma besteht das Glück, nein, der „Glücks Tee“. Bei nächster Gelegenheit wird die Aura stabilisiert, die „uns Menschen“ gegen „Angriffe von außen“ schützt: mit dem – erraten! – „Goldene Aura Tee“. Nichts dringt mehr durch, zumal im abgepackten Kräutergarten der „Green Guardian“ einsatzbereit ist.

Die Überzeugungskraft des Ayurveda ist so elementar, dass man aufs Teetrinken verzichten kann, um gestärkt zu sein. „Von allen Zeiten des Tages ist der Morgen die Wundervollste“, hebt der bald zur inneren Stimme werdende Text an, der den „Wundervoller Morgen Tee“ akkompagniert. „Wir erwachen, landen, erhalten ein weiteres Mal die Chance zum Neubeginn“, wird dann insbesondere den Leiharbeitern und Erwerbslosen unter uns verraten. „Möge doch dieser Moment anhalten, diese andächtige Stille, die reine Luft voll unbändiger Lebenskräfte, Tautropfen, Morgenröte.“ Eine Imagination, der es spielend gelingt, die Tatsache weiträumig zu umfahren, dass ich an einer Ausfallstraße wohne, die regelmäßig die Lärm- und Abgas-Charts anführt. „Dieser zauberhaften Morgenstimmung haben wir diesen festlichen Tee gewidmet. Er weckt uns mit Leichtigkeit, inspiriert uns.“ Nun ja, nicht immer.