Die Sünder müssen später büßen

So könnte der Stabilitätspakt künftig funktionieren: Wenn in schlechten Zeiten zu viel Geld ausgegeben wird, muss in guten gespart werden

AUS BRÜSSELDANIELA WEINGÄRTNER

Jean-Claude Juncker liebt Fabeln von der Mücke und dem Elefanten – und er ist fest überzeugt, dass im Leben wie im Märchen besser die Kleinen den Großen sagen sollen, wo es lang geht. Beim Finanzministertreffen gestern in Brüssel wurde deutlich, dass er in den sechs Monaten Amtszeit als EU-Ratspräsident die Rolle der Mücke sehr energisch zu spielen gedenkt. Beim Frühlingsgipfel im März werde er eine Halbzeitbilanz zu Wachstum und Beschäftigung in der Union vorlegen. Beim Junigipfel müssten die Eckpunkte der Finanzplanung für die Jahre 2007 bis 2013 beschlossen werden.

Vor allem aber habe er den festen Willen, beim Märzgipfel die Diskussion über die Reform des Stabilitätspaktes abzuschließen. „Niemand hat diese Prioritäten in Frage gestellt“, sagte der Luxemburger Regierungschef und blickte drohend in die Runde, als wolle er auch niemandem raten, das zu tun. „Niemand hat ein Interesse daran, diese Diskussion unendlich in die Breite zu ziehen.“

Tatsächlich fand sich hierzu bei Bundesfinanzminister Hans Eichel, der zur gleichen Zeit die Presse informierte, kein Widerspruch. Zweimal kämen die Finanzminister vor dem Märzgipfel noch zusammen. Ursprünglich hätte er sich auf ein zusätzliches Sondertreffen eingestellt, verriet Eichel den Journalisten. Doch Junckers forsche Regie scheint ihn nun überzeugt zu haben, dass die Streitpunkte bis März unterhalb der Ministerebene ausgeräumt werden können.

Dabei sind Kompromisslinien bislang nur schemenhaft erkennbar. Zwar werde an den Eckdaten des Paktes laut Eichel nicht gerüttelt. Allerdings soll eine Neuverschuldung von mehr als drei Prozent und ein Gesamtschuldenvolumen von mehr als 60 Prozent des Bruttoinlandsproduktes nicht automatisch zu Auflagen und Sanktionsdrohungen führen.

Das Verfahren werde demnach künftig damit beginnen, dass die EU-Kommission die ökonomische Situation des betreffenden Landes „umfassend analysiert“. Der deutsche Minister erwartet sich in Zukunft mehr Einfühlungsvermögen von der Brüsseler Behörde. Die Frage müsse doch heißen: „Warum sind die über drei Prozent gekommen? Ist das überhaupt ein exzessives Defizit?“

Auch Juncker will die gesamtwirtschaftliche Lage künftig stärker berücksichtigt sehen. In Zeiten schwacher Konjunktur soll die Kommission also tatsächlich mehr Verständnis zeigen. Weitaus wichtiger findet der Luxemburger Premier aber, die Mitgliedstaaten in ökonomisch guten Zeiten künftig mehr an die Kandare zu nehmen.

Ebenso wie jetzt in einem Zusatzprotokoll die Eckdaten für ein „übermäßiges öffentliches Defizit“ mit drei Prozent Neuverschuldung und 60 Prozent Gesamtverschuldung festgelegt sind, sollen auch Phasen wirtschaftlichen Aufschwungs durch Wachstumsdaten genau definiert werden. Auf dieser Grundlage sollen die Mitgliedsländer verpflichtet werden, Rücklagen zu bilden. Details zu diesem Konzept wollte Juncker aber gestern noch nicht nennen.

Extrempositionen, so der Ratspräsident zuversichtlich, seien jetzt schon vom Tisch. Niemand beharre mehr darauf, den Pakt unverändert zu lassen oder bestimmte Haushaltsbelastungen bei der Defizit-Berechnung abzuziehen. Damit verwies Juncker indirekt auch deutsche Vorschläge in den Papierkorb. Finanzminister Eichel hatte wiederholt gefordert, die finanziellen Anstrengungen der Bundesrepublik im Rahmen des Aufbaus Ost und die deutschen Beiträge zum EU-Haushalt müssten im Defizitverfahren berücksichtigt werden.

Indirekt bleiben aber die Nettotransfers aus dem deutschen Budget in den Brüsseler Topf weiter ein Thema. Junckers ehrgeiziges Ziel, in seiner Amtszeit eine Grundsatzeinigung über den Haushalt 2007 bis 2013 zu erreichen, kann nur mit Unterstützung des größten Nettozahlers gelingen. Deutschland hatte diese Diskussion aber mehrfach in Zusammenhang mit dem Stabilitätspakt gebracht. Man könne nicht gerade den Ländern mehr Haushaltsdisziplin abverlangen, die auf dem Umweg über Brüssel das Budget anderer Mitgliedsländer subventionierten, lautet die Botschaft von Schröder und Eichel.

Einigen kleinen EU-Ländern dürfte die derzeit geführte Diskussion ziemlich verlogen vorkommen. Sie machen die Erfahrung, dass auch die bisher geltenden Regeln nicht für alle gleich streng ausgelegt werden. Während das Defizitverfahren gegen Frankreich und Deutschland trotz weiterhin zu hoher Neuverschuldung ruht, beschloss der Finanzministerrat gestern, den Druck auf Griechenland weiter zu erhöhen. Damit hat zum ersten Mal ein Land die Vorstufe zu finanziellen Sanktionen erreicht. Manchmal gewinnen eben doch die Elefanten, und die Mücke hat das Nachsehen.