Gelebte Energiewende

GRÜNDER Mit 5.000 Euro gründeten Mitglieder einer Anti-AKW-Bewegung 1978 das Unternehmen Wagner & Co. Die Aktivisten produzierten Solarwärmeanlagen zum Selbstbau. Heute arbeiten im Lahntal 350 Personen

Themen: Die Messe konzentriert sich auf die Bereiche Photovoltaik, Solarthermie und Solares Bauen.

■ Ort & Zeit: vom 27. bis zum 29. Mai 2009 auf der Neuen Messe München.

■ Größe: 2009 werden 1.400 Aussteller erwartet. Die Ausstellungsfläche wird auf 100.000 m[2]vergrößert. Sie verteilt sich auf insgesamt neun Messehallen und ein großes Freigelände.

■ Neu: Erstmals wird der Bereich für Maschinen, Rohstoffe und Dienstleistungen in der Photovoltaik-Produktionstechnik sich über eine ganze Halle erstrecken. Die Präsenz internationaler Technologie- und Herstellerunternehmen auf der Intersolar wird gestärkt.

■ Infos: www.intersolar.de

VON ANSGAR WARNER

Die Geschichte klingt bekannt: Ein Archivfoto zeigt junge Männer mit Vollbart, Ende der Siebzigerjahre, kurz vor der zweiten Ölkrise. Frisch von der Universität gekommen, gründen sie ein Unternehmen. Nicht im Silicon Valley, sondern im Lahntal. Doch Silizium wird eine Rolle spielen. Nur nicht in der Form von Mikrochips. Es geht nicht um Bits & Bytes, es geht um Solarenergie.

Die Aktivisten sind keine Start-up-Unternehmer. Sie sind Mitglieder der „Energiegruppe Marburg“, sie kommen aus dem Umfeld der Anti-AKW-Bewegung. Doch sie wollen nicht nur demonstrieren und Flugblätter verteilen. Also gehen sie im Jahr 1978 mit 5.000 Mark Startkapital in der Tasche zum Amtsgericht und melden eine GmbH an: Wagner & Co. Das Ziel: Zeigen, dass die Energiewende funktionieren kann.

Dreißig Jahre später steht in Kirchhain, nördlich von Marburg, eine weitläufige Fabrikhalle: auf 5.000 Quadratmetern Fläche werden in fünf Fertigungsstraßen Sonnenkollektoren produziert, nach dem neuesten Stand der Technik. Die Kapazitäten sind enorm: Mit den jährlich hier produzierten Flachkollektoren kann eine Fläche bestückt werden, die etwa 60 Fußballfeldern entspricht.

Doch die Menge macht es nicht bei dieser Erfolgsstory. Den ersten Unterschied sieht man schon von weitem: Die Dachfläche ist mit einer endlos erscheinenden Reihe von Solarmodulen bestückt. In Kirchhain wird zu hundert Prozent „energieautark“ produziert.

Der Strom kommt nicht aus der Steckdose, sondern direkt von oben, und die Wärme wird von einer Hackschnitzelanlage geliefert, die Restholz aus den Holzverpackungen verwertet. Den zweiten Unterschied merken vor allem die Leute, die hier arbeiten: Ihnen gehört nämlich das Unternehmen. Von den knapp 350 Angestellten sind ungefähr 90 Gesellschafter der GmbH. Die Abteilungsleiter werden von den KollegInnen gewählt, außerdem gibt es eine von der gesamten Belegschaft gewählte Mitarbeitervertretung.

So war es von Anfang an. Nicht Top-down sondern Bottom-up. Es ging darum, gemeinsam etwas zu bewegen. Gegen den Atomstaat setzte man Selbstorganisation und Basisdemokratie. Und auf die Hilfe zur Selbsthilfe: „Wir haben uns mit allem Möglichem beschäftigt: Fensterfolie, Recyclingpapier, Umweltschutz im Haus“, so Dietmar Schlosser von Wagner & Co. Man verschafft sich vor allem Know-how im Bereich alternativer Energiequellen und produziert Solarwärmeanlagen für den Selbstbau. Zur Information der Öffentlichkeit werden Bücher aufgelegt und Vorträge gehalten. Allein der Beststeller „So baue ich eine Solaranlage“ wurde bis heute mehr als 80.000mal aufgelegt.

Die Gründer bauten schon bald auch selbst. Ein Bild von 1979 zeigt eine Frau, die vor einem Einfamilienhaus Wäsche aufhängt. Hinter ihr, auf dem Pfannendach, leuchten zwei reflektierende, rechteckige Flächen: die erste Solaranlage, die von den Marburger Öko-Aktivisten montiert wurden, damals noch in tagelanger Handarbeit, transportiert mit einem VW-Bus. Die Anlage arbeitet immer noch, nach 30 Jahren.

Es ging darum, gemeinsam etwas zu bewegen. Gegen den Atomstaat setzte man Selbstorganisation

Trotzdem hat sich viel geändert. Ein Massenphänomen war Solartechnik in den Achtzigerjahren noch nicht. Strom oder Wärme von der Sonne, obwohl es viel günstiger aus der Steckdose oder der Ölheizung kam? Das war eher was für Freaks, für Überzeugungstäter, die es sich leisten konnten: „Früher war der typische Kunde Lehrer, umweltbewegt, mit gutem Einkommen und mit Einfamilienhaus“, so Dietmar Schlosser.

Doch der Glaube an den Energiemix aus Kohle, Öl und Atom kam ins Wanken. Die zweite Ölkrise nagte am Glauben an billiges Öl. Und nicht zu vergessen: Tschernobyl. Mit der Katastrophe im sowjetischen Atomkraftwerk waren plötzlich Alternativen zur bisherigen Energiepolitik gefordert. „Da haben viele gemerkt: Jetzt müssen wir sofort etwas tun!“ Die Solarwärme bot sich da besonders an: „Photovoltaik war damals einfach noch zu teuer“, so Schlosser. Wagner & Co war beim ersten Boom von Anfang an mit dabei: als die Stiftung Warentest 1986 zum ersten Mal Solaranlagen testete, wurden die Marburger zum Testsieger gekürt.

Mittlerweile hat man nicht nur Photovoltaik und Solarwärme im Angebot, sondern auch Pelletheizungen. „Mit der Kombination aus Sonnenkollektoren und dem Brennstoff Holzpellets kann man ein Haus zu 100 Prozent nachhaltig mit Heizenergie und Warmwasser versorgen“, so Schlosser. Die Solarwärmeanlagen von Wagner & Co sind in den Rankings der Stiftung Warentest regelmäßig an der Spitze.

Mittlerweile exportiert man auch in andere europäische Länder. In Spanien, Frankreich und seit Frühjahr 2009 auch in Italien hat Wagner & Co Töchterfirmen gegründet. Der Vertrieb erfolgt aber darüber hinaus auch in vielen anderen Ländern Europas. Auch in unseren Breitengraden wächst die Nachfrage, gerade sucht man einen Vertriebsleiter für Belgien. „Deutschland wird aber weiterhin der wichtigste Markt für uns bleiben“, so Schlosser.