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Die Kommunen im Ruhrgebiet können sich einen massiven Ausbau der unter Dreijährigen-Betreuung nicht leisten.Weil sie aber den Bedarf decken müssen, setzen sie auf die finanzielle Unterstützung von Bund oder Land

RUHR taz ■ Die Revierkommunen sehen sich nicht in der Lage, eine flächendeckende Betreuung für unter Dreijährige auszubauen. Im „Tagesbetreuungsausbaugesetz“ vom Oktober 2004 verpflichtet der Bund die Städte und Gemeinden, den Bedarf an Ganztagsangeboten zu decken. Doch bislang steht nur für zwei Prozent der Eltern im Revier ein Platz zur Verfügung – der geschätzte Bedarf liegt hingegen bei 20 Prozent. Für den massiven Ausbau sollen die Kommunen die 2,5 Milliarden Euro nutzen, die sie durch die Zusammenlegung von Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe einsparen – doch diese Milliarden stehen bisher nur auf dem Papier.

„Wenn der Bund ein Gesetz erlässt, muss er es auch finanzieren“, sagt Bernd Jürgen Schneider vom Städte- und Gemeindebund NRW, der die kreisangehörigen Kommunen im Ruhrgebiet vertritt. Er zweifelt daran, dass die 2,5 Milliarden Euro bei Kommunen ankommen. „Erst bei der Revision von Hartz IV im Oktober wird sich zeigen, wie viel ALG II-Empfänger wir wirklich haben“. Selbst wenn bei den Kommunen Geld eingespart würde: „Damit müssen die Städte erst einmal ihre Schieflage im Haushalt zurecht rücken“, findet Schneider. Von den 396 Kommunen im Land unterstehen 175 einem Haushaltssicherungsgesetz, besonders die Ruhr-Städte sind davon betroffen.

In Essen liegt die Versorgungslage der unter Dreijährigen bei vier Prozent, noch relativ hoch für Ruhrgebietsverhältnisse. Den wirklichen Bedarf habe man noch gar nicht erfasst, so Reinhard Harms, Mitarbeiter im städtischen Jugendamt. Zur Zeit sei er damit beauftragt, die Kinderbetreuung für ALG II-EmpfängerInnen zu garantieren. Sobald diese einen Job haben, sollen sie ihr Kind bei einer Tagesmutter und in einer Kindertagesstätte abgeben können. „Ein Kind darf kein Beschäftigungshindernis mehr sein“, sagt er. Für den weiteren Ausbau der Kleinkinderbetreuung wartet seine Stadtverwaltung die Hilfe vom Land ab. „So viel ich weiß, gibt es da noch keine Zusage“, sagt Harms.

Hartz IV birgt eine Menge versteckte Kosten, die der Bund nicht berechnet hat, sagt Gelsenkirchens Jugenddezernent Manfred Beck. So würde beispielsweise das kostenlose Mittagessen, das es bisher nur für Kinder von Sozialhilfeberechtigten gab, auf Kinder von Arbeitslosengeld II-Beziehern ausgeweitet. „Das sind etwa drei Mal so viel wie früher“, so Beck. Auch Vergünstigungen für Volkshochschulkurse würden ab jetzt auch für ALG II-Familien gelten. „Es gibt Kritiker, die glauben, wir werden überhaupt keine Entlastung vom Bund erfahren“, sagt er.

Doch die Landesregierung könne den verarmten Städten im Ruhrgebiet beim Ausbau der unter Dreijährigen-Betreuung ruhig unterstützen, sagt Beck. „Der Wohlstand dieses Bundeslandes basiert nicht zuletzt darauf, das hier einmal die Schwerindustrie und der Bergbau gebrummt haben“. Seine Stadt hat sich das ehrgeizige Ziel gesetzt, bis 2010 etwas mehr als 1.000 neue Plätze zu schaffen. Damit wären 20 Prozent der Kleinkinder untergebracht – bisher konnte in Gelsenkirchen nur jedes hundertste Kind unter drei Jahren versorgt werden.

Helfen könnten beim Ausbau der Kleinkinderbetreuung auch die Kirchen. Ende Dezember hatten sie erklärt, die Kommunen dabei zu unterstützen. Doch im neuen Jahr kündigen sie den Abbau von Kindergartenplätzen an – alleine das Ruhrbistum Essen plant die Schließung von 100 Einrichtungen zwischen Duisburg und dem Sauerland. „Wir stehen im Dialog mit den Kirchen“, so Beck. Die Revierstädte würden gut daran tun, mit diesen über eine Senkung ihres Eigenanteils zu verhandeln. „Wir müssen die Kirchen bei Laune halten.“ NATALIE WIESMANN