Ein ganz normales Leben

Kaffee trinken und reden: „Donnerstag Nachmittag –Treffpunkt INSEL“. Ein Film von Gisela Tuchtenhagen im Lichtmeß

Ingrid soll ihre Schuhe anziehen, doch das braucht seine Zeit. Zwischendurch wirft sie verschmitzte Blicke in Richtung Kamera: „How are you? Quite well?“ und kichert. „Willst du mich noch haben?“, wendet sie sich an Filmemacherin Gisela Tuchtenhagen, die hinter der Kamera steht und die Frage lachend bejaht.

Ingrid gehört zu einer Gruppe von Menschen mit Behinderung, die INSEL e. V. pädagogisch unterstützt, um ihnen ein weitgehend selbständiges Leben zu ermöglichen. Tuchtenhagen, bereits mehrfach für sozial engagierte Dokumentationen ausgezeichnet, porträtiert in ihrem aktuellen Film Donnerstag Nachmittag – Treffpunkt INSEL die Arbeit des Hamburger Vereins und stellt mehrere Betreute vor. Auch wenn diese manchmal unfreiwillig komisch wirken, ist ihre Darstellung nie abwertend. Nur die unterschiedliche Gewichtung der Porträts erschließt sich nicht, wieso sind einige so kurz?

Im Film werden Ingrid, Gerald und Dorette von INSEL-Mitarbeitern zu Hause besucht oder an ihren Arbeitsplätzen gefilmt, wie Michael, der als Hausmeister-Helfer am UKE arbeitet. Doch egal, was sie sonst machen, donnerstags treffen sich alle im Verein um Kaffee zu trinken und zu reden.

Dorthin kommt auch Gerald, der stolz erzählt, dass er sein Leben allein organisiert. Traurig macht ihn dagegen Michael, dem er seine Zuneigung gestanden hat, der seine Gefühle aber nicht erwidert. Der Film zeigt, wie Gerald für seine Gäste den Kaffeetisch deckt, wie er zögert, welche Tasse wo stehen soll. Und wie Michael an ihm vorbei in die Wohnung stürmt, ohne Gerald zu begrüßen und diesen hilflos stehen lässt. Situationen, in denen jeder froh ist, wenn er einen Ort weiß, an dem er Unterstützung findet.

Ingrid hat ein ganz anderes Problem. Allein bewohnt sie ihr Elternhaus, doch die Verwandten haben ihr den Mietvertrag gekündigt, um das Haus allein nutzen zu können. Da sie Pflege benötigt, besucht Ingrid gemeinsam mit den INSEL-Mitarbeitern ein Pflegeheim. Frech, aber auch ein wenig eingeschüchtert, läuft sie durch das Heim und lässt sich alles erklären. Doch sie bleibt misstrauisch. Kurz vor der Abfahrt steht sie am Bahnhof und resümiert: „Das ist nicht meine Abteilung. Ich bin der Meinung, dass ich zu Hause bleibe.“

Doch das Sparprogramm des Senats hat auch vor der INSEL nicht Halt gemacht, und so entfällt künftig die Betreuung für Gerald, Ingrid und Ulf.

Beatrice Wallis

Do, 20.1., 20 Uhr, Lichtmeß. Die Filmemacherin wird anwesend sein.