„Man kann gar nicht genug streiken“

Öffentlicher Dienst wird öffentlich laut: Rund 5.500 Beschäftigte streikten und demonstrierten gestern gegen Tarifkürzungen und eine Ausweitung der Arbeitszeit. Im Mittelpunkt standen die KTH-ErzieherInnen: sie fühlen sich mehr als genug belastet

Sie fühlen sich nicht wertgeschätzt, „und unsere Arbeit wird immer schwieriger“

Bremen taz ■ „Beschissen und betrogen“ fühlen sie sich, die „Schnauze voll“ haben sie, „man buttert immer nur rein, und das für das miese bisschen Geld“ – gestern war ihr Tag: Rund 5.500 Beschäftigte des öffentlichen Dienstes, allen voran rund 1.000 ErzieherInnen, streikten für einen Tag und demonstrierten gegen Gehaltskürzung, Arbeitszeitverlängerung und den Senat.

Denn der verhält sich in den Augen der Beschäftigten im Reigen der öffentlichen Arbeitgeber besonders gemein: In Bremen sollen wegen chronischem Gelddefizits Sondertarife gelten und hier wird bereits umgesetzt, was die Arbeitgeber der Länder in ihrem laut Gewerkschaft ver.di „tarifpolitischen Betonkurs“ erst noch durchsetzen wollen: längere Arbeitszeit (40 statt wie bisher 38,5 Stunden), kein Urlaubsgeld, kein oder wenig Weihnachtsgeld. In Bremen gilt das bereits für alle neu oder befristet eingestellten Kräfte, deren Verträge verlängert werden. Und das trifft insbesondere den KTH-Nachwuchs: Rund 150 MitarbeiterInnen arbeiten in befristeten Arbeitsverhältnissen.

Sonja Buchwald gab gestern vor der Menge auf dem Marktplatz die Musterbeschäftigte. 24 Jahre ist sie alt, sie arbeitet auf einer halben Stelle im Horthaus Grohn. Sie hat eine vierjährige Ausbildung hinter sich und zweieinhalb Jahre Berufserfahrung. Sie verdiente 780 Euro netto. Inzwischen wurden ihr das Weihnachtsgeld gekürzt, das Urlaubsgeld gestrichen und weil sie bei der gleichen Stundenzahl bleibt, die Regelarbeitszeit aber erhöht und das wiederum auf die einzelnen Stunden runtergebrochen wurde, wurde ihr Stundenlohn gesenkt – unterm Strich fehlen ihr nun 70 Euro im Monat. Das reiche gerade für Wohnung und Lebensunterhalt. „Größere Anschaffungen sind nicht drin“, erzählt sie, auch Kino, Theater, Disko eher nicht. Hinzu kommt die Ungewissheit über die Verlängerung ihres Vertrags. „Jedes Jahr bange ich darum, ob ich weiter beschäftigt werde“, sagt sie, „das ist sehr belastend.“

Die Gemengelage der Tarifverhandlungen ist mehrschichtig. Da verhandeln einerseits Gewerkschaften mit Bund und Kommunen um eine Reform des gesamten Tarifrechts im öffentlichen Dienst – ein Ergebnis wird für Ende Februar erwartet, und ver.di spricht bereits von einer „Jahrhundertreform“. Nicht dabei sind hier die Bundesländer. Sie sind aus den Verhandlungen ausgestiegen, haben den Tarifvertrag für alle Landesangestellten gekündigt und wollen weitaus härtere Einschnitte durchsetzen. Im Stadtstaat Bremen, der nochmal besonders klamm ist und deshalb die Möglichkeit regionaler Sondertarife durchsetzen will, sind die Angestellten des öffentlichen Dienstes Beschäftigte des Landes, für die die laufende „Jahrhundertreform“ nicht gelten wird. Was auf sie zukommen soll, erfahren jetzt bereits die schlechter gestellten Kolleginnen. „Das ist mir auch aufgefallen“, sagt eine befristet eingestellte Erzieherin, „dass ich die gleiche Arbeit mache für weniger Geld.“ Gemeinsam mit ihren Kolleginnen vom KTH Curiestraße steht sie hier und hält die ver.di-Fahne. Die Stimmung sei schlecht, erzählen die Frauen, das Niveau sinke. „Wenn ich mit 20 Kindern alleine arbeite, wie soll ich da jedes für sich angemessen fördern?“, fragt eine. Die Sprachauffälligkeiten würden mehr, aber auch das Desinteresse – zugleich nähmen die Erwartungen der Eltern zu. „Ohne Idealismus kann man diesen Job nicht machen“, sagt sie, „aber wir werden sowieso schon unterbezahlt.“ Noch mehr Einschränkungen „nehme ich nicht hin“.

„Katastrophal“ sei die Situation, sagen auch die Kolleginnen vom KTH Carl-Severing-Straße in der Vahr. Sie fühlen sich in ihrer Arbeitsleistung nicht wertgeschätzt, „und unsere Arbeit wird immer schwieriger.“ Die Frauen hier haben alle unbefristete Verträge, „aber für die neu Eingestellten ist es besonders bitter.“

Die Eltern, die gestern auf Kinderbetreuung verzichten mussten, unterstützen die Erzieherinnen. „Verdammt notwendig“ sei der Protest, sagte Claudia Bernhard vom Gesamtelternbeirat, „man kann gar nicht genug streiken.“ Bessere Ausstattung und angemessen bezahltes Personal sei nötig, so Bernhard, und keine weitere Belastung der Erzieherinnen. Auch die evangelischen KindergärtnerInnen erklärten sich solidarisch mit ihren öffentlichen KollegInnen, denn indirekt sind auch sie von einer Tarif-Verschlechterung betroffen: Dann sinken auch die öffentlichen Zuwendungen an die kirchlichen Kitas, denn sie dürfen laut Gesetz nicht bessergestellt sein als die staatlichen. sgi