Ein Flug von unvermuteter Eleganz

Martin Scorsese hat ein Biopic gedreht: „The Aviator“ erzählt die Geschichte von Howard Hughes, dem Filmemacher, Flugzeugentwickler und Milliardär. Zum Glück verweigert sich der Film der Dramaturgie von Aufstieg, Krise und Triumph. Lieber blickt er mitleidslos auf eine deformierte Männerseele

Scorseses Film gleicht dem Riesenflugzeug, an dessen Konstruktion Howard Hughes fast scheitert

VON BARBARA SCHWEIZERHOF

Es gibt ihn schon recht lange, nach Schätzung kundiger Historiker weit über 2.000 Jahre – den Kult um die Lebensgeschichten „großer Männer“. Aber warum häufen sich die Verfilmungen davon in letzter Zeit? Welche globale Sinnkrise auch immer die großen Zeitdiagnostiker darin vermuten, aus filmkritischer Sicht sieht es schlicht nach einer Ideenflaute in den Entwicklungsabteilungen der Studios aus.

Dort begreift man Biopics offenbar als eine mindere Variante des Remakes. Mit dem Unterschied, dass man nicht an den Erfolg eines „Originals“, sondern den einer realen Person anknüpfen will. Wie eben erst die Verleihung der Golden Globes gezeigt hat – Jamie Fox wurde für die Hauptrolle in „Ray“ ausgezeichnet und Leonardo DiCaprio für seine in „The Aviator“ –, sind Filmbiografien dabei besonders für die Schauspieler ein dankbares Vehikel. Es muss am Offensichtlichen liegen: Die Verwandlung in eine „echte“ Person lässt sich in ihrem Leistungsaspekt vermeintlich besser messen als die Erschaffung eines fiktiven Charakters, zu dem das Referenzmodell fehlt.

Gerade dort, wo die Branche sich selbst feiert, schlägt in eigenartiger Weise das puritanisch geprägte Arbeitsethos durch. Nicht die leichtfüßigen Erfinder und charmanten Selbstdarsteller werden geehrt, sondern die, die vor der Kamera im Schweiße ihres Angesichts Verwandlungsarbeit leisten. Womit sich aber auch erklärt, warum Filmbiografien selten große Kassenhits werden. Dem breiten Publikum steht der Sinn nämlich ganz und gar nicht nach allzu viel Fleiß auf der Leinwand; ihm ist der „echte“ Leonardo DiCaprio in „Titanic“ allemal lieber.

In der aktuellen Serie der Verfilmungen wahrer Erfolgsgeschichten fällt noch etwas anderes auf. Als Genre betrachtet ist das Leben großer Männer erstaunlich monoton. Von Alexander über Ray Charles bis hin zu Howard Hughes, in überraschender Gleichförmigkeit sind es immer wieder die gleichen Elemente, aus denen sich die großen Karrieren zusammensetzen: Starke Mütter und bedrückende Kindheitserfahrungen haben später einen Hang zum Drogenexzess und eine gewisse Bindungsunfähigkeit zur Folge. Was macht die großen Männer groß? Ihr starker Wille. Und wo rührt der her? Aus dem anstrengenden Kampf mit den inneren Dämonen.

Alles das findet sich auch in Martin Scorseses „The Aviator“ wieder, der Verfilmung der Lebensgeschichte von Howard Hughes, die ja mindestens drei Karrieren umfasst: eine als Hollywoodproduzent, eine als Luftfahrt- und Rüstungsindustrieller und eine als „armer reicher Mann“ mit legendär bizarren Schrullen. Unter den Biopics der letzten Zeit ragt der Film jedoch weniger wegen der Einzigartigkeit seines Protagonisten heraus, sondern mehr wegen der „Rauheit“ seiner Erzählform, wie man in Anlehnung an Roland Barthes sagen könnte. So lassen sich die Vorzüge des Films zunächst am besten als Mängel beschreiben: Es fehlt „The Aviator“ an Glätte und besonders an jener Fertignahrungsdramaturgie von Aufstieg, Krise und Triumph, der sonst die Biopics fast blind gehorchen.

Anders gesagt ähnelt Scorseses Filmprojekt einem Gegenstand, der darin vorkommt: dem Riesenflugzeug mit dem Spitznamen „spruce goose“ (Holzgans), von dessen Konstruktion Hughes lange geträumt hat und dessen Jungfernflug am Ende des Films steht. Die meiste Zeit glaubt niemand, dass das Ungetüm je abheben könnte. Aber als es sich schließlich wider Erwarten in die Lüfte aufschwingt, ist sein Flug von unvermuteter Eleganz und Schönheit. Tatsächlich hat „The Aviator“ etwas von einem monströsen Traum, der mehr über den Träumer verrät als über das Geträumte. Während der Film von Howard Hughes handelt, scheinen stets die Obsessionen Scorseses durch. Das macht „The Aviator“ sehenswert.

Scorsese nämlich interessiert sich weniger für Hughes' Lebensgeschichte. Vielmehr springt er auf ihre Grundthemen an. Hollywood und Flugzeuge, der Film und der technische Fortschritt, das ist der Stoff, für den sich alle wahren Jungs begeistern. Dann gibt es noch die gequälte Kehrseite: das Kranke im Mann, besonders die krankhafte Angst davor, krank zu sein. Scorsese führt sie als Ergebnis einer Urszene vor: Die Mutter badet ihren Sohn, wieder und wieder, und lässt ihn dabei auch noch das Wort „Quarantäne“ buchstabieren. Kein Wunder also, dass der erwachsene Hughes eine Keimphobie entwickelt, die ihm schließlich den normalen Umgang mit Menschen unmöglich macht. Diese simple Schuldzuweisung in der Tradition des Freud-Folklorismus, die im Film auch noch leitmotivisch wiederholt wird, ist sein vielleicht größter Schwachpunkt. Aber die Benennung von Ursachen war noch nie Scorseses Stärke. Die liegt vielmehr im konzentrierten und dabei völlig mitleidslosen Blick auf die Deformationen der männlichen Seele.

Der üblichen Nummernrevue, die die bekanntesten Anekdoten eines Celebrity-Lebens in ausgespielten Szenen aneinander reiht, versucht Scorsese zu entkommen, indem er sich auf einen bestimmten Abschnitt der Hughes-Biografie konzentriert. Der Film setzt ein bei der Produktion von „Hell's Angels“. Ein jungenhafter, durch den Tod seiner Eltern zum Millionär gewordener Hughes stellt sich ohne Scheu den bewunderten Hollywoodgrößen vor und fragt nach zwei zusätzlichen Kameras. Die 24, die er schon habe, würden nicht ausreichen. Der Newcomer wird natürlich ausgelacht. Dabei ist die Selbstverständlichkeit, mit der er ausgeschlossen wird, weit verletzender als die Skepsis, die seinem Filmprojekt entgegengebracht wird.

An der Skepsis wird sich bis zum Ende nichts ändern. Der erwähnte Jungfernflug der „spruce goose“, mit dem der Film schließt, reiht sie noch einmal als staunendes Publikum auf, die ewigen Zweifler. So endet „The Aviator“ zwar lange vor Hughes' Tod und auch vor dessen exzentrischer Rückzugsphase, aber den entscheidenden Umschlagpunkt will der Film noch sichtbar machen: Der Mann, der als erfolgreicher Pilot des größten Flugzeugs der Welt aus dem Cockpit steigt, hat die einstige Verletzung längst gegen sich gekehrt und begonnen, sich selbst aus der Gesellschaft auszuschließen.

Zwischen diesen Eckdaten der Biografie kommen sie zwar dann doch vor, die Anekdoten in der Art von „urban legends“, die man sich über Hughes erzählt. Jayne Russels Push-up-BH und der Kampf mit der Zensur, die voll gepinkelten Milchflaschen und die nackte Verwahrlosung, Katharine Hepburn und Ava Gardner. Aber sie sind eingebunden in eine Inszenierung und deshalb frei von der peinlichen Behauptung, so sei es tatsächlich gewesen.

Die Szenen aus den 30er- und 40er-Jahren – sie sehen aus wie die Filme von damals. Mit großer Sorgfalt imitiert Scorsese die seinerzeit gängigen Farbverfahren. Wer will, kann anhand von Blaustich und Goldton die Jahreszahl bestimmen. Für den weniger am Detail der Technikgeschichte Interessierten bleibt immer noch der Verfremdungseffekt eines Lebens auf nachbearbeitetem Zelluloid.

Leonardo DiCaprio spielt Hughes mit einer verborgenen Fragilität. Auf den ersten Blick forsch und sogar imposant auftretend, verraten das etwas Zappelige seiner Gesten und ein zu lange gehaltenes Lächeln die unterschwellige Unsicherheit. Dem reichen Erben verleiht DiCaprio auf diese Weise einen diskreten Außenseitercharme. Und wie Katharine Hepburn (Cate Blanchett in einer ans Parodistische grenzenden Anverwandlung), die seine Ungeschliffenheit und mangelnde Adaptionsfähigkeit attraktiv findet, weil sie sich zum Teil damit identifiziert und zum Teil überlegen fühlt, beginnt auch der Zuschauer sich zunehmend seiner anzunehmen. Man genießt seine Momente des Triumphs, weil Scorsese sie als Schläge gegen das Bildungs- und Wirtschaftsestablishment der USA vorführt. Etwa wenn er beim Essen mit dem Hepburn-Clan das Credo des „selfmade man“ gegen „old money“ ausspielt: „Wir reden nicht über Geld“, sagt Mutter Hepburn leicht dahin, um ihre liberalen Ansichten zu unterstreichen. Schwerfällig wendet er dagegen: „Sie reden nicht darüber, weil Sie welches haben.“

Zwar hatte auch Hughes welches, aber „Aviator“ stellt das Besondere seines Vermögens heraus – er hat es immer wieder aufs Spiel gesetzt, mit anderen Worten: damit gearbeitet. Immer wieder, fast wie ein Runninggag, tritt sein Finanzverwalter Noah Dietrich (John C. Reilly) an ihn heran und warnt, nun seien die Mittel erschöpft, die Kredite überzogen. Und immer wieder sehen wir, worin die harte Arbeit des Unternehmers besteht: nicht „weich“ zu werden, sondern weiter zu riskieren.

Die zentrale Frage im Kult um die Lebensgeschichten großer Männer ist die nach dem Geheimnis ihres Erfolgs. Scorseses Film hält eine vertrackte Antwort bereit. Zum einen zeigt er Hughes' Talent, die richtigen Leute zu rekrutieren. Für deren Tätigkeit interessiert sich der Film jedoch nie wirklich; wie Dietrich es etwa anstellt, immer noch weiter Geld zu beschaffen, bleibt unerwähnt. Zum anderen inszeniert Scorsese eindringlich wie nie das Kerngeschäft: Das Fällen von Entscheidungen gerät zur Höllentour.

In einer Szene betritt Hughes die Konstruktionshalle, alles stürmt auf ihn ein, hysterisch fordern die verschiedensten Seiten den einen entscheidenden Satz von ihm. Hughes beweist Führungsstärke, indem er mit Autorität für Ruhe sorgt und die richtigen Worte am richtigen Ort platziert. Kaum aber ist ihm das gelungen, wird er das Opfer einer eigenartigen Marotte – er kann nicht aufhören damit, den einen Satz zu sagen. Damit ihn niemand hört, muss er sich gar selbst den Mund zuhalten. Als sei es eine griechische Tragödie, vielleicht aber auch nur ein Laurel-&-Hardy-Film: Eben noch Herr seiner Äußerungen, wendet sich das Mantra männlicher Willenskraft – „Ein Mann, ein Wort“ – dämonartig gegen ihn und bleibt ihm buchstäblich im Halse stecken.