Das Gewicht des Geldes

Die Diskussion um Nebeneinkünfte von Volksvertretern zeigt, wie befangen die Deutschen in Fragen finanzieller Transparenz sind: Wenn’s um Geld geht, sind wir ein Volk von vorsichtigen Heimlichtuern

VON RALPH BOLLMANN

Der frühere SPD-Abgeordnete Norbert Gansel hat es getan, der CDU-Parlamentarier Uwe Schummer macht es auch: Sie legen ihre Steuererklärung Jahr für Jahr den Wahlbürgern offen. Was die beiden Politiker freiwillig tun, mag aber keine der vier Bundestagsfraktionen ihren Abgeordneten verordnen. Selbst SPD und Grüne, die sich mit dem Ruf nach Transparenz zu profilieren suchen, verlangen diese Offenheit nur gegenüber dem Parlamentspräsidenten. Was Parlamentarier insgesamt verdienen, soll auch bei diesem vermeintlich radikalen Vorschlag nicht nach außen dringen.

In diesem Bedürfnis nach monetärer Heimlichtuerei finden sich die Volksvertreter mit den Vertretenen vereint. In kaum einem Land haben die Bewohner ein derart klandestines Verhältnis zum Geld wie in Deutschland. „Über Geld spricht man nicht“, predigen die Eltern ihren Kindern schon früh – und schreiten mit gutem Beispiel voran, indem sie dem eigenen Nachwuchs die Höhe des eigenen Einkommens beharrlich verschweigen. Spätestens mit dem Eintritt ins Erwerbsleben gilt auch die Frage als höchst tabu, die unter Studenten gang und gäbe ist: „Schöne Wohnung. Was zahlst du denn dafür?“

Offenkundig ist das kollektive Schweigen kein Zeichen von Souveränität, sondern von Unsicherheit. Dass die Moderne die ständische Ordnung der Gesellschaft weitgehend aufgelöst und durch Geldbeziehungen ersetzt hat, ist hierzulande noch nicht wirklich akzeptiert. Verdrängt wird die Rolle des Geldes als umfassendes Gestaltungsmittel der Gesellschaft, das für Freiheit und Bindungen gleichermaßen sorgt, Zusammenhänge stiftet und bisweilen sogar Sinn – ganz unabhängig davon, wie diese Beziehungen dann ausgestaltet werden: ob im freien Spiel der Kräfte wie in den USA oder durch staatlich gelenkte Verteilung wie etwa in Schweden. Wo dieser Zusammenhang aber klar gesehen und auch ausgesprochen wird, haben die Leute meist auch weniger Probleme im transparenten Umgang mit Vermögen. Der öffentliche Zugang zu allen Steuererklärungen ist in Schweden so selbstverständlich wie das Offenlegen von Lobbygeldern in den USA.

Nun gibt es gewiss Länder, wo der Umgang mit Geld weit konspirativer gepflegt wird als in Deutschland. Doch geht es dort meist darum, dem Staat ein Schnippchen zu schlagen. So hinterlassen viele Italiener, vorzugsweise Selbstständige und Freiberufler, nur höchst ungern Spuren finanzieller Transaktionen auf dem Bankkonto. Von der Hotelrechnung bis zum Immobilienkauf werden selbst große Transaktionen gern in bar abgewickelt – um das Finanzamt in dem Glauben zu lassen, das Hotel stehe meist leer und die Villa habe so gut wie nichts gekostet.

Die Steuerflucht spielt auch hierzulande eine Rolle, aber beileibe nicht die entscheidende. Sie erklärt vor allem nicht das extreme Schwanken zwischen den Extremen. Zwischen der protestantischen Tradition einerseits, die Bremer Kaufleute oder Baseler Bankiers stets zu ostentativer Bescheidenheit verdammte. Und der neureichen Zurschaustellung, die auf das Publikum nicht sonderlich sympathisch wirkt – ob nun Michael Schumacher mit lässiger Geste ein paar Millionen für die Flutopfer spendet oder Rudolph Moshammer gleich mehrere Rolls-Royce-Modelle fuhr.

Als akzeptable Größe gilt allenfalls ein Vermögensstatus, für den die Vormoderne den Begriff des „gerechten Brotes“ kannte. Es ist zwar schlecht, zu viel Geld zu haben; gar zu klamm zu sein ist aber auch nicht gut.

Als etwa der Intendant Claus Peymann gleich nach seinem Berliner Amtsantritt arg in die Kritik geriet, offenbarte er im taz-Interview plötzlich die Höhe seines Gehalts. Dass er der bestbezahlte Berliner Theaterintendant sei, schien in Peymanns Augen den Führungsanspruch seines Hauses zu bekräftigen.

Und als taz-Journalist tut man gut daran, seinen Gesprächspartnern nicht das wahre Ausmaß der eigenen Unterbezahlung zu offenbaren: Man läuft Gefahr, nicht mehr ernst genommen zu werden.

Das ist freilich eine Gefahr, die auch den Bundestagsabgeordneten dräut. Denn eine wirkliche Offenlegung ausnahmslos aller Bezüge ginge, nimmt man die Erfahrungen aus anderen Ländern, notwendigerweise mit einem unbefangeneren Verhältnis zum Geld insgesamt einher. Eine Skandalisierung dessen, was dann allgemein bekannt ist, wäre zwar kaum noch möglich. An ihre Stelle träte die Gefahr, dass sich das Publikum vom finanziellen Gewicht eines Abgeordneten zumindest unterschwellig beeindrucken lässt – am meisten vielleicht jene, die sich jetzt am lautesten aufregen.