DEUTSCHLAND BRAUCHT BILDUNGSIDEEN, WIE EINSTEIN SIE HATTE
: Streckt die Zunge raus

Albert Einstein kann einem auf den Keks gehen. Kaum eine deutsche Type ist so rundum okay wie das ungekämmte Genie, das noch mit 72 Jahren schlagfertig genug war, einem aufdringlichen Fotoreporter die Zunge herauszustrecken. Einstein – das Hirn, Einstein – der nicht Formatierbare, Einstein – der Neugierige, Einstein – der Pazifist, Einstein – das Popidol. Egal welchen Blickwinkel man wählt, der Mann steht (fast) immer gut da. Das hat auch Rot-Grün begriffen. Einen besseren Sympathieträger für eine Wissenspolitik unter den Chiffren kreativ, jung, unautoritär ist nicht zu finden.

Und dennoch fiel die Laudatio des Kanzlers auf den Genius gestern Abend seltsam unentschlossen aus. Nicht einmal der kesse Kanzler traut sich mehr zum großen Aufschlag. Woran liegt das? An dem beinahe hoffnungslosen Gewirr, in das sich die Bildungs- und Wissenschaftsfreaks von SPD und Union verheddert haben. Man braucht schon ein dickes Fell – das der junge Einstein so gern zitierte, um sich gegen seine vielen Rückschläge zu wappnen –, um die föderalen Fehlleistungen auszuhalten, denen das Land unterworfen ist. Noch die besten wissenspolitischen Ideen wurden im Hickhack zwischen Bund und Ländern verzögert, verhindert oder klein geholzt. Das gilt für die Ganztagsschulen ebenso wie für die Juniorprofessur oder die Initiativen für Elite-Unis. Das Paradoxe ist: Mit den Föderalismusgesprächen rückten Lernen und Forschen zu jener Bedeutung auf, die sie für die Zukunft nun mal haben – und wurden doch kein Megathema, sondern zum Zankapfel der Nation.

Soll das Jahr 2005 im Zeichen Einsteins stehen, dann braucht es seine pädagogischen Prinzipien: Toleranz gegenüber der Individualität des Einzelnen, Abschied von homogenen Unterrichtsplänen, keine unbedingte Erfolgsorientierung – vor allem aber Vertrauen und Ermutigung für den einzelnen Schüler und Forscher, um deren Neugier freien Lauf lassen zu können. Diese Ideen sind, auch wegen Pisa, in der Szene wie bei Eltern und Schülern weitgehend anerkannt. Es wird Zeit, dass auch die Politik, insbesondere die Union, sie endlich annimmt. CHRISTIAN FÜLLER