ULI HANNEMANN, LIEBLING DER MASSEN
: Hat er denn überhaupt nichts anzuziehen?

NACKT ZUM EINKAUFEN BEI KARSTADT AM HERMANNPLATZ

Bei Karstadt gibt es einen Sonderverkauf für Herrenhemden. Unschlüssig fischt meine Begleitung Stücke aus dem Hemdenmeer und hält sie nacheinander an mich, damit ich nicke oder mit dem Kopf schüttle. Beflissen hüpft ein Verkäufer herbei. „Hat er denn überhaupt nichts anzuziehen?“ Kaum sieht der Verkäufer, dass ich in weiblicher Obhut bin, wendet er sich sofort an sie. Von diesem Moment an bin ich nur noch „er“, ein unmündiges Kind, ein lebloses Anziehmännchen, ein Ken. „Nein, wie Sie sehen: Nicht das Geringste.“

Wir sind soeben dabei, ein blaues Hemd aus dem Angebot auf seine Tragetauglichkeit zu prüfen. Der Verkäufer packt es aus und entfernt die meisten der Nadeln. Ohne Vorwarnung zieht er es mir ruckartig über den Kopf wie der Henker einem Verurteilten den Sack.

Die beiden verhandeln über meinen Kopf hinweg, als wäre ich unsichtbar. Routiniert spulen Freundin und Verkäufer ihre Rollen in einem Stück herunter, in dem ich nicht einmal Statist bin, sondern allenfalls Bühnendekoration: „Das könnte ihm passen.“ – „Also ich würde es erst mal mit L probieren.“ – „Nicht lieber M? Das sieht sonst gleich so zeltmäßig aus.“ – „Seine Arme sind aber recht lang.“ – „Ja, das stimmt – er ist da komplett fehlproportioniert.“ – „Schauen Sie: Wenn ich hier mal an ihm ziehe?“ Der Verkäufer zieht und zupft an Ärmel, Arm und Leib herum wie an einer Schaufensterpuppe.

Wehr- und sprachlos lasse ich mir alles gefallen. Selbst die Leichen in den „Körperwelten“ werden respektvoller behandelt – die darf man immerhin nicht anfassen.

Irgendwas läuft hier fürchterlich schief. Unversehens muss ich sämtliche Bürger- und Menschenrechte abgegeben haben. Lasse ich die vergangene halbe Stunde Revue passieren, dann glaube ich, war der Knackpunkt der, an dem ich, noch unter der Dusche stehend, die Frau bat, mich zu Karstadt zu begleiten. Ich hatte mir Entscheidungshilfe davon versprochen sowie eine Art Geizbremse, da ich sonst doch wieder mit leeren Händen von dannen gezogen wäre.

Jetzt habe ich den Salat. Warum nur bin ich nicht allein gekommen? Ich weiß gerade nicht, was ich demütigender finde: die Gängelei oder in einem vollen Kaufhaus in der Hemdenabteilung zu stehen mit nichts als ab und zu einem Probehemd am Leib. Sobald ich versuche, wenigstens mein Gemächt hinter einem verpackten Hemd zu verbergen, wird mir dieses entrissen und unter lautem Geschnatter übergestülpt.

Wir gehen von Tisch zu Tisch, hie und da bekomme ich einen weiteren Lappen an- und wieder ausgezogen. Mein Unbehagen verstärkt sich. Hinter meinem Rücken wird getuschelt; fremde Blicke bohren sich Pfeilen gleich in mein blankes Gesäß. Dabei ist es so schön warm hier drinnen – eigentlich hätte es mir doch vorher viel unangenehmer sein müssen, als ich nackt durchs Schneegestöber hierherlief. Aber da war ich noch froh, möglichst schnell das warme Kaufhaus zu erreichen, und so fällt mir erst jetzt richtig auf, dass ich noch immer nichts anzuziehen habe.

Schließlich halte ich es nicht mehr aus und ziehe den Verkäufer flehentlich am Ärmel. Der versteht zum Glück etwas von seinem Geschäft: „Ich glaube, er schämt sich – vielleicht sollten wir erst mal in die Unterhosenabteilung ?“ „Nichts da – der soll sich nicht so anstellen! Nu sind wir erst mal hier.“ Ergeben schließe ich die Augen und träume, ich wäre am Strand.