Ein Vitamin im Zwielicht

Als Anti-Aging-Mittel wird das Vitamin E beworben. Wissenschaftler jedoch warnen, eine zu hohe Dosierung könnte zu Gesundheitsschäden führen

Es lindert Entzündungen, sichert die männliche Zeugungsfähigkeit und stärkt unser Immunsystem – Vitamin E zählt zu den wichtigsten Biostoffen, die dem menschlichen Organismus regelmäßig zugeführt werden müssen. Als „Radikalenfänger“ steht es außerdem im Ruf, uns vor aggressiven Sauerstoffverbindungen und damit vor Alterserscheinungen zu schützen. Weswegen denn auch Vitamin-E-Präparate zu den großen Rennern unter den Nahrungsergänzungsmitteln zählen.

In den USA haben sie unter den Vitaminpillen einen Marktanteil von 11 Prozent – ähnliche Zahlen müssen auch für den hiesigen Markt vermutet werden, ganz zu schweigen davon, dass Vitamin E in unzähligen Multivitaminpillen, Margarinen und Fruchtsäften verarbeitet wird.

Die Hoffnung jedoch, mit all diesen Produkten wirklich älter werden zu können, hat nun durch eine Studie einen empfindlichen Dämpfer erhalten, die auf der diesjährigen Tagung der „American Heart Association“ vorgestellt wurde. Wissenschaftler der Johns-Hopkins-Universität hatten die bisherigen Studien zu dem Thema ausgewertet, mit dem Ergebnis, dass schon eine Vitamin-E-Dosis von 400 IE (Internationale Einheiten) das Risiko für einen frühzeitigen Tod signifikant ansteigen lässt.

400 IE entsprechen etwa 268 Milligramm, und diese Mengen werden auch von vielen Vitamin-E-Präparaten erreicht, die man ohne Rezept in deutschen Supermärkten oder Drogerien erhält.

Gründe genug, an der Anti-Aging-Wirkung von Vitamin-E-Präparaten zu zweifeln. Und eine weitere Bestätigung dafür, dass mit fettlöslichen Vitaminen, zu denen neben Vitamin E auch die Vitamine A und D gehören, nicht zu spaßen ist, da sie sich im Körper in einer ungesunden Größenordnung anreichern können.

Doch Grund zur Panik besteht auch nicht. Denn über Multivitaminpräparate und vitaminisierte Nahrungsmittel lassen sich keine gefährlichen Vitamin-E-Dosierungen erzielen. Außerdem betonen die amerikanischen Forscher, dass der von ihnen beobachtete Anstieg des Todesrisikos deutlich unter zehn Prozent gelegen hätte. Darüber hinaus waren die meisten Studienteilnehmer krank und über 60 Jahre alt. Durchaus möglich also, dass jüngere und gesunde Menschen durch die Einnahme von Vitamin-E-Präparaten keinen Schaden nehmen.

Ob sie jedoch Nutzen davon haben, ist fraglich. Denn die empfohlene Vitamin-E-Dosis liegt laut Deutscher Gesellschaft für Ernährung (DGE) bei weniger als 30 IE pro Tag, und diese Mengen werden gerade von jüngeren Menschen auch über den Speisezettel erreicht. Und selbst wenn es einmal zu einem kurzfristigen Mangel gekommen sein sollte, greift der Körper erst einmal auf die Reserven zurück, die er in seinem Fett gespeichert hat. Was bedeutet: Die moderne Überflussgesellschaft mit ihren Übergewichtigen mag zwar von allerlei Zivilisationserkrankungen bedroht sein, doch der Vitamin- E-Mangel gehört zweifelsohne nicht dazu.

Prinzipiell besteht also keine Notwendigkeit, der Vitamin-E-Versorgung mit hochkonzentrierten Präparaten auf die Sprünge zu helfen. Und dies gilt auch für Raucher, die neben Schwangeren und Gestressten zu den bevorzugten Zielgruppen der Vitaminindustrie zählen.

Deren Blut zeigt zwar dramatisch erniedrigte Vitamin-Werte, doch das bedeutet nicht zwangsläufig, dass ihnen entsprechende Pillen helfen könnten. „Denn indem man dem Körper vermehrt Vitamine zuführt“, warnt Ernährungswissenschaftler Professor Gerhard Jahreis von der Uni Jena, „behebt man die Schäden nicht, die das Rauchen anrichtet.“ Vor diesen Schäden gebe es eigentlich nur einen zuverlässigen Schutz: nämlich mit dem Rauchen aufzuhören. JÖRG ZITTLAU