Im digitalen Bildersturm

Der moderne Soldat zieht nicht ohne Digitalkamera in den Krieg. Und mit jedem Pixel trägt er zu einem Schlachtengemälde bei, wie es so authentisch und realistisch die Welt noch nicht gesehen hat

VON ARNO FRANK

„Wenn deine Bilder schlecht sind, warst du nicht nahe genug dran.“

Robert Capa

Wäre Louis-François Lejeune nicht weit genug weg gewesen vom Gemetzel, das Napoleon am 14. Juni 1800 unter österreichischen Truppen in Italien anrichtete, dann hätte es der Franzose wohl kaum nach allen Regeln der Kunst in Öl bannen können. Denn die Regeln der Kunst, den Krieg für die Nachwelt zu dokumentieren, waren geprägt von der Schlachtenmalerei des „ancien régime“ – also nach dem Geschmack von Louis XIV., der bei seinem Feldzug gegen die Niederlande 1672 sogar Tribünen errichten ließ, damit er und sein Hofstaat die Schlacht wie ein bewegtes Landschaftsgemälde verfolgen konnten.

Seit Menschengedenken wachen die Mächtigen peinlich genau über die Darstellungen ihrer Kriege, und immer war die Kunst auf Seiten der Sieger. Das gilt für Kampfszenen auf griechischen Vasen aus dem 8. Jahrhundert vor Christus, wo sich die besiegten Gegner förmlich stapeln, nackt und in horizontaler Lage. Und es gilt für aktuelle Fotos aus Abu Ghraib oder Basra, auf denen es den inhaftierten Gegnern kaum besser zu ergeht als ihren Schicksalsgenossen fast drei Jahrtausende zuvor.

Offenbar braucht die Genugtuung des Siegers noch immer die Erniedrigung des Unterworfenen, um sich narzisstisch darin spiegeln zu können. Spätestens mit dem Ersten Weltkrieg aber haben die Mächtigen ihr Monopol auf dieses Ritual an die Ohnmächtigen abgeben müssen – an die einfachen Soldaten mit ihren praktischen Kameras also.

War die Darstellung des Krieges bis dahin dominiert von den Interessen der Auftraggeber und Künstlers, so wurde sie ab dieser Zäsur zum neutralen Ergebnis photochemischer – und neuerdings digitaler – Prozesse. Damit weicht der Künstler dem Knipser, der sich selbst kaum mehr einbringt und stattdessen einen „Fluss bewusstlos ausgelöster Bilder“ produziert, der uns derzeit immer wieder aufs Neue schockiert.

Warum? Weil, „wer im Album eines Amateurfotografen blättert, darin nicht etwa festgehaltene Erlebnisse, Erkenntnisse und Werte irgendeines Menschen ersieht, sondern automatisch verwirklichte Apparatmöglichkeiten“, wie Vilém Flusser schreibt. Womit die Darstellung des Krieges auf Augenhöhe mit einer Kriegsführung bleibt, die ja auch ohne die Möglichkeiten militärischer oder technischer Apparate nicht denkbar wäre. Wir sehen also nur, „wo der Apparat überall war und wie dort der Knipser funktioniert hat“.

Dem Grauen fehlt ein ideologischer oder künstlerischer Filter. Das Grauen, selbst Ergebnis eines Apparates, wird mithilfe eines Apparates kühl aufgezeichnet. Woher genau rührt das Entsetzen, mit dem wir Bilder aus Basra oder Abu Ghraib betrachten? Aus dem Unbehagen darüber, dass diese Bilder auf den ersten Blick ohne erkennbare Intention geknipst wurden, ganz beiläufig, bei Licht betrachtet aber Einblicke in menschliche Abgründe gewähren, die nicht mehr irgendeinem Tyrannen anzulasten sind – sondern dem miesen kleinen Knipser in uns allen, der sich nichts dabei gedacht hat.

Was von Handwerkern in Friese gemeißelt oder von Malern auf Leinwände aufgetragen wurde, war meistens vom Willen zur Verherrlichung oder dem Zwang zur Verfälschung bestimmt. Die Bilder, die der Krieg produziert, haben sich mit der Digitalisierung der menschlichen Kontrolle entzogen. Und wie die Mächtigen ihre Hegemonie über das Bild haben abgeben müssen, so hat sich auch das Bild selbst in die Pixel aufgelöst, aus denen es besteht.