Klangsprache als Heilmittel

Die Bremer Therapeutin Marie-Luise Zimmer setzt Musik ein, um Zugang zu seelischen Verletzungen und Problemen zu finden

Marie-Luise Zimmer ist Musik-, Trauma- und Psychotherapeutin. Sie ist seit 28 Jahren in freier Praxis tätig und arbeitet zusätzlich mit Frühgeborenen im Klinikum Bremen-Mitte und auf der Palliativstation im Klinikum Links der Weser.

taz: Neben der Arbeit in Ihrer eigenen Praxis sind Sie auch als eine der beiden Musiktherapeutinnen an der Prof.-Hess-Kinderklinik tätig. Warum wird dort Musiktherapie (MTHP) nach wie vor nur durch Spenden finanziert?

Marie-Luise Zimmer: Das hat im wesentlichen etwas mit unserem derzeitigen Gesundheitssystem zu tun. Es ist halt immer weniger Geld vorhanden.

Ist der Nutzen der MTHP unter Medizinern noch nicht anerkannt?

So pauschal würde ich das nicht sagen, denn immerhin gibt es inzwischen eine Anzahl von Medizinern, die auch Musiktherapeuten sind. Natürlich steht die Medizin in Akutkrankenhäusern – und dazu zählt die Professor-Hess-Kinderklinik – immer an erster Stelle.

MTHP ist in der heutigen Form noch eine sehr junge Disziplin. In Deutschland hat sie sich als Psychotherapie in den 70er Jahren aus der Heilpädagogik entwickelt. Man kann MTHP an Universitäten und Hochschulen studieren, promovieren und sich sogar habilitieren, wir betreiben verstärkt Grundlagenforschung – aber leider gehört sie immer noch nicht zu den offiziell anerkannten Psychotherapiemethoden.

Können Sie noch einmal kurz umreißen, was MTHP überhaupt ist?

MTHP versteht sich als eine Form der Psychotherapie, weil sie an die Entwicklung einer therapeutischen Beziehung gebunden ist. Bezugspunkt zwischen Klient und Therapeut ist neben dem Gespräch die Musik. MTHP arbeitet mit der Klangsprache und setzt Musik und deren Elemente Klang, Rhythmus, Melodie, Dynamik und Form ein, um psychische Heilungsprozesse beim Menschen zu bewirken.

Über das gemeinsame Spielen und Experimentieren mit Klängen, Melodien und Rhythmen – wir nennen das die aktive Musiktherapie – können Stimmungen und Gefühle wahrgenommen, ausgedrückt und später verbalisiert werden. Dies ermöglicht den Zugang zu frühen, oftmals schmerzlichen Lebenserfahrungen.

In der rezeptiven Vorgehensweise spielt der Therapeut für den Klienten. Durch das Musik-Hören werden Gefühle, Stimmungen, Assoziationen ausgelöst, die anschließend im therapeutischen Gespräch bearbeitet werden.

Wo wird MTHP eingesetzt?

Also zunächst kann MTHP die Sprache der Sprachlosen hörbar machen. Menschen, die sich noch nicht, nicht mehr oder überhaupt nicht über Worte verständigen können. Zum Beispiel meine sehr kleinen Frühgeborenen oder Komapatienten, autistische Menschen, Menschen nach Schlaganfällen oder Menschen, die über ihr Leid nicht sprechen können.

Um Krankheitsbilder zu nennen: Alle frühen Störungen, also Störungen die sich zu einer Zeit ausgebildet haben, in der der Mensch noch nicht sprechen konnte. Oder bei Psychosen, Ess-Störungen, Krebserkrankungen, bei Gewalterfahrungen, Traumen, in der Psychosomatik, in Schmerzkliniken und bei Sterbenden.

Können Sie denn von Therapieerfolgen berichten?

Da kann ich nur meine ganz persönlichen Erfahrungen schildern. Ich werte es als einen Erfolg, wenn ein Kind, welches sich vor lauter Angst verweigert hat oder verstummt ist, wieder beginnt zu reden und in Kontakt zu gehen.

Für mich ist es ein Erfolg, wenn ein Mensch, der nie „nein“ sagen konnte, plötzlich den Mut hat Grenzen zu setzen. Oder wenn ein psychose-erfahrener Mensch eine Umschulung schafft und sein Stimmenhören in den Alltag integrieren kann. Deshalb sind natürlich die Stimmen nicht weg, aber er kann besser mit ihnen leben. Für an Krebs erkrankte Kinder ist es ein Erfolg, wenn sie durch die MTHP wieder Lebensfreude bekommen.

Und die Kosten? Wird MTHP von den Kassen getragen?

In sehr vielen deutschen Kliniken gehören musiktherapeutische Angebote heute zum Leistungskatalog, besonders in Reha-Kliniken und psychosomatischen Kliniken. Dort wird es von den Kassen übernommen.

Aber im ambulanten Bereich – wie meiner eigenen Praxis – sieht das anders aus. Bis zur Reform des Psychotherapeutengesetzes konnte man diese Therapieform über eine außervertragliche Kostenregelung mit der Kasse abrechnen. Das ist heute nur noch selten möglich.

Interview:
Hauke Hirsinger

Am 24. Februar (19.30 Uhr) gibt die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen in der Glocke ein Benefizkonzert zugunsten der musiktherapeutischen Behandlung frühgeborener und krebskranker Kinder in Bremen