Zum Kotzen

Die ehemals antikapitalistische Tageszeitung „Libération“ lässt einen Bankier ihr Finanzloch füllen

Libération, das einstmals linksradikale Blatt aus Paris, übergibt sich. In die Hände eines der Bankiers. Dafür öffnete eine knappe Mehrheit der Belegschaft bei einer betriebsinternen Abstimmung am Donnerstag den Weg. Der Bankier, Pferdezüchter und Unternehmer Edouard de Rothschild darf mit 20 Millionen Euro einsteigen. Wenn die übrigen AktionärInnen dem Deal zustimmen, wie ihre Ankündigungen erwarten lassen, übernimmt Rothschild 37 Prozent des Kapitals und wird der einzige Großaktionär des Blattes.

Die Pressekonzentration in den Händen medienferner Unternehmen in Frankreich schreitet damit einen Riesenschritt voran. Im vergangenen Jahr schon übernahm der Rüstungsunternehmer Serge Dassault 87 Prozent an den 70 Blättern der Gruppe Sopresse, darunter die rechten Flaggschiffe Le Figaro und L’Express. Der zweite große französische Rüstungsunternehmer Arnaud Lagardère verhandelt gegenwärtig über einen Einstieg bei Le Monde. Selbst die kommunistische Zeitung L’Humanité hat vor ein paar Jahren Kapital aus der Rüstungsindustrie („Matra“) aufgenommen.

Die Belegschaft von Libération, der Zeitung, die sich in ihrem Anfangsjahr 1973 als „völlig freies Blatt“ vorstellte, antikapitalistisch gab und später der taz als Vorbild diente, hat sich schwer getan mit ihrer Abstimmung. Nicht aus Enthusiasmus, wie Redaktionsmitglieder erklären, hätte man für die 20 Millionen Euro, die Rothschild in die „Entwicklung von Libération“ stecken will, gestimmt, sondern „aus Vernunftsgründen: Wir haben keine Alternative.“

Tatsächlich steht Libération das Wasser bis zum Halse. Die Zeitung ist hoch verschuldet, die Auflage, die noch im Jahr 2000 bei 161.000 Exemplaren lag, ist binnen drei Jahren auf nur noch 149.000 Exemplare gesunken. Der Abstieg von Libération begann in den 90er-Jahren. Der Mitgründer des Blattes und ewige Chef Serge July setzte damals ein „revolutionäres neues Konzept“ durch. 1994 erschien die „dritte Formel“, ein beinahe 100-seitiges, farbiges, themenmäßig beliebiges tägliches Blatt. Die neue Formel hielt der Ablehnung der Öffentlichkeit nicht lange stand. Und sie riss ein tiefes Loch in die Finanzen von Libération, das trotz bereits mehrfacher Kapitaleinstiege – u. a. von einem Filmkonzern und einem britischen Investmentfonds – nie mehr gestopft werden konnte.

Rothschild, der bislang keinen Hehl aus seinen rechten politischen Sympathien gemacht hat, versichert, dass er die redaktionelle Unabhängigkeit respektieren wolle. Doch in der Belegschaft glauben nur wenige daran, dass seine Zurückhaltung von Dauer sein wird.

DOROTHEA HAHN