Der Mann im Schrank

Es wird ja immer darüber lamentiert, dass es einst so schwer gewesen sei, sich zwischen den Stones und den Beatles zu entscheiden. Dabei wird natürlich der eigentliche und viel tiefgreifendere Konflikt jener Zeit übersehen, eine Trennlinie, die mit Fug und Recht die Berliner Mauer der jüngeren Musikgeschichte genannt werden darf: Lennon oder McCartney. Eine Wahl, die meinem Bekannten T. leichtfiel. Lennon, so T.s schlüssige Argumentation, war schließlich nicht nur cool wie Hulle, sondern außerdem ein passabler und gar nicht so selten sogar ein absolut genialer Songwriter. Und dass McCartney Orchester arrangieren konnte, war letztendlich doch auch nur Ausdruck des unzureichenden Versuchs, seiner kleinbürgerlichen Verklemmtheit zu entkommen.

Eines Tages lernte T. ein junges feenartiges Wesen kennen, das ihn flugs einlud, sich ihre Sammlung exotischer Tabakdosen anzuschauen. Sie wiederholten das, zu beider Vergnügen des Öfteren. Nur eines störte T. an der Fee – der Mann im Schrank. Beim Öffnen ihres banktresorgroßen biedermeierschen Kleiderdepots musste er auf der linken Flügeltür dem fast lebensgroßen Abbild eines gewissen Axl Rose auf die speckigen Haare schauen. T.s Liebschaft wurde eine Ehe, mit Haus und Kindern (drei Stück), und bei alldem begleitete ihn der Nebenbuhler im Schrank. Ausgerechnet jener Mann, der ihn das einzige Mal in seinem Leben am Lennonismus zweifeln ließ.

Guns N’ Roses hatten 1991 nämlich die von McCartney stammende Titelmelodie des 1973er Roger-Moore-Bondfilms „Live and let die“ derart fantasielos gecovert, dass McCartney mit seiner doch druckvollen originalen Orchesterversion beinahe göttlich überlegen erscheinen wollte. Wenn das röhrige „Live and let…“ den dramatischen Einsatz auf „…die“ ankündigt: Gänsehaut. Paul McCartney wirft einen titanischen Schatten über den daneben zwergenhaft wirkenden Axl Rose und wird auf diese Weise beinahe rehabilitiert. Aber eben nur beinahe, solange jedenfalls Person und Werk John Lennon den Referenzrahmen setzen.

Was letztendlich aber auch nichts bedeutet: Lennon ist tot, T. und die Fee sind geschieden, Guns N’ Roses üben sich in chinesischer Demokratie, Paul McCartney macht belanglose Schlager und Roger Moore… Roger Moore ist auf Werbetour für seine Autobiografie und gibt am Dienstag bei Dussmann Autogramme. DANIÉL KRETSCHMAR

■ Roger Moore: „Mein Name ist Bond… James Bond“, Dussmann, Friedrichstraße 90, Dienstag, 2. Juni, 16 Uhr