Menschenrechtlerin droht Verhaftung

Die iranische Friedensnobelpreisträgerin Schirin Ebadi wird von der Justiz unter Druck gesetzt und bei Gericht vorgeladen. Anlass ist eine Pressekonferenz mit früheren Häftlingen, die über Isolationshaft, Folter und erzwungene Geständnisse berichten

„Ist es ein Verbrechen, nach Freiheit und Demokratie zu streben?“

VON BAHMAN NIRUMAND

Die iranische Friedensnobelpreisträgerin Schirin Ebadi weigert sich, einer Vorladung des Revolutionsgerichts in Teheran Folge zu leisten. Das Gericht hatte sie ohne Angabe von Gründen aufgefordert, sich innerhalb von drei Tagen zu melden und „einige Erklärungen“ abzugeben. Andernfalls werde sie verhaftet. Die Vorladung sei rechtswidrig, sie werde sie daher nicht akzeptieren, sagte die Anwältin und Frauenrechtlerin.

Die Revolutionsgerichte der Islamischen Republik befassen sich hauptsächlich mit politischen Delikten, sie haben seit ihrer Gründung im Jahre 1979 zehntausende Oppositionelle zum Tode oder zu langjährigen Haftstrafen verurteilt. Ebadi stellte grundsätzlich die Berechtigung dieser Gerichte in Frage: „Derartige Gerichte mögen während einer Revolution gerechtfertigt sein. Nach dem Ende der Revolution verlieren sie aber ihre Berechtigung“, sagte sie gegenüber der Nachrichtenagentur AP.

Der Sprecher des iranischen Außenministeriums, Hamid Resa Assefi, versuchte den Fall herunterzuspielen. „Es gibt eine private Anzeige“, sagte er. Der Streit werde im schlimmsten Fall mit einer Geldstrafe von maximal 50 Euro enden. Worum es bei der Anzeige geht, sagte Assefi nicht. Dazu meinte Ebadi nur: „Wie kommt es, dass eine private Anzeige gegen mich von einem Revolutionsgericht bearbeitet wird. Das ist eine klare Verletzung des Rechts.“

Staatspräsident Mohammad Chatami nahm Ebadi in Schutz. Während seines Staatsbesuchs in Senegal sagte er, er bürge persönlich für die Sicherheit der Friedensnobelpreisträgerin. Er bezweifle stark, dass Ebadi irgendwie gegen das Gesetz verstoßen haben könnte.

Anlass für die Vorladung Ebadis war offensichtlich eine Pressekonferenz, bei der namhafte ehemalige Häftlinge über ihre Erfahrungen in der Isolationshaft, über Folter und erzwungenen Geständnisse ausführlich berichteten. Ohne sich durch die Attacke der Justiz einschüchtern zu lassen, nahm Ebadi an dieser Konferenz teil. „Dieses ist das erste Mal, dass wir Dissidenten öffentlich vorstellen, deren unveräußerliche Rechte als politische Gefangene verletzt wurden“, sagte sie. Sie forderte die Justiz nachdrücklich dazu auf, die Isolationshaft, die sie als eine Form von Folter bezeichnete, abzuschaffen.

„Warum sollen diejenigen, die sagen ‚lang lebe die Demokratie‘ gefoltert werden? Ist es denn ein Verbrechen, nach Freiheit und Demokratie zu streben?“, fragte die Menschenrechtlerin. Die Pressekonferenz war für iranische Verhältnisse höchst ungewöhnlich. Sie soll von nun einmal pro Monat stattfinden.

Angesprochen auf die Vorladung des Revolutionsgerichts sagte Schirin Ebadi: „Meine Aufgabe ist es, die Menschenrechte in Iran zu beobachten, und niemand kann mich auf diesem Weg einschüchtern. Ich werde mich dem Druck der Justiz nicht beugen. Wenn sie mich haben wollen, sollen sie kommen, mich festnehmen und mit Gewalt wegschaffen.“

Die Vorladung Ebadis hat nicht nur in Iran, sondern auch im Ausland scharfe Proteste hervorgerufen. Die für den nahen Osten zuständige Direktorin der Menschenrechtsgruppe Human Rights Watch, Sarah Leah Wilson, sagte gegenüber Journalisten: „Das ist ein unverhohlener Versuch der iranischen Regierung eine der wenigen noch verbliebenen Stimmen zur Verteidigung von Menschenrechten in Iran zum Schweigen zu bringen. Wenn selbst eine Nobelpreisträgerin in dieser Art bedroht werden kann, dann ist kein Aktivist mehr sicher.“

Offensichtlich wurde mit den Protesten bereits eine erste Wirkung erzielt. Der Sprecher der Justiz, Djamal Karimi, erklärte am Mittwoch auf einer Pressekonferenz, der Justiz sei wohl ein Fehler unterlaufen. Die Vorladung Schirin Ebadis hätte nicht durch das Revolutionsgericht, sondern durch die Teheraner Staatsanwaltschaft erfolgen müssen.