Schräger Opferkult

Betroffenheit und Erleichterung im sächsischen Landtag nach einer NPD-Debatte zum Bombenangriff auf Dresden

DRESDEN taz ■ Das Tröstliche vorab: Folgt man einem Diskussionsforum des Hannah-Arendt-Instituts vom Donnerstagabend, beurteilen Dresdner Bürger den Bombenangriff auf ihre Stadt weit differenzierter als die nationalistischen Bauernfänger. Zum Zweiten fand der sächsische Landtag gestern in seiner großen Mehrheit zu einem geschlossenen Auftreten gegenüber der NPD, die eine Aktuelle Stunde zum bevorstehenden 60. Jahrestag der „angloamerikanischen Terrorangriffe“ beantragt hatte.

Landtagspräsident Erich Iltgen (CDU) war gleich zu Beginn der Sitzung mit einer Gedenkminute an die Opfer einem ähnlichen Ansinnen der NPD zuvorgekommen. Wegen der Wortwahl der Neonazi-Partei schritt er später mit Ordnungsrufen ein.

Als ein eher makabrer Trost ist dabei die Erleichterung anzusehen, die sich paradoxerweise trotz oder gerade wegen des verbalen Schocks vom Rednerpult unter Abgeordneten und Beobachtern breit machte. Der Wolf hatte den Schafspelz abgelegt, gab sich offen geschichtsrevisionistisch oder antisemitisch. Damit lässt sich leichter umgehen als mit demokratischen oder populistischen Tarnkappen.

NPD-Fraktionschef Holger Apfel praktizierte die gleiche „selektive Erinnerungskultur“, die er dem „BRD-Gesinnungsstaat“ unterstellt. Seine rhetorische Frage „Sind denn deutsche Opfer weniger wert?“ lief ins Leere, weil das Gedenken des 13. Februar seit 60 Jahren in Dresden stets zuerst ein Totengedenken war. Auch die Unterscheidung von Opfern erster und zweiter Klasse wird sinnlos, wenn es in den Augen der Nationalisten überhaupt nur deutsche Opfer erster Klasse im 20.Jahrhundert gibt.

In diesen Opferkult stimmte der NPD-Abgeordnete Jürgen Gansel ein. Anhand von Zeitungszitaten und Affektäußerungen Winston Churchills versuchte er zu belegen, dass es spätestens seit 1896 eine Art Weltverschwörung zur Vernichtung Deutschlands gegeben habe. Anschaulicher als Gansel konnte man den anscheinend unausrottbaren deutschen Verfolgungswahn nicht demonstrieren. Aber da hatte ein Großteil der Abgeordneten wegen der Beschimpfung als „Blockparteienkartell“ den Saal verlassen.

Alterspräsident und SPD-Fraktionschef Cornelius Weiss, als Vertreter der „Canossa-Republik“ denunziert, antwortete im Namen des übrigen Hauses. Er analysierte die Eskalation der Gewalt in dem von Goebbels ausgerufenen totalen Krieg. „Am Ende kehrte das Feuer in das Land der Brandstifter zurück“, hielt er Apfel entgegen, der wie Goebbels „mit Schaum vor dem Mund“ geredet habe. Die Abgeordneten erhoben sich von ihren Sitzen und applaudierten Weiss.

Über den jährlichen Aufmarsch der Jungen Landsmannschaft Ostpreußen am 13. Februar in Dresden hat Apfel inzwischen die Schirmherrschaft übernommen, nachdem diese ebenso geschickt wie infam auch Ministerpräsident Milbradt und dem CDU-Fraktionschef Fritz Hähle angetragen worden war.

MICHAEL BARTSCH