Der Mann, der Toni Turek sein durfte

Die Babelsberger Kicker haben einen Fußballlehrer, der auch beim „Wunder von Berlin“ eine Rolle spielte: Jo Stock ist sowohl Torwarttrainer im Karl-Liebknecht-Stadion wie Schauspieler – und nebenher musiziert der Rheinländer in einer Band

VON JÜRGEN SCHULZ

Für einen Fußballtrainer tummelt sich Jo Stock an ungewöhnlichen Brennpunkten. Während sich Kollegen im schweißgetränkten Ambiente der Umkleidekabinen mit der Video-Analyse des nächsten Gegners befassten, stand Stock in Bad Herrenalb mit der MTV-Moderatorin Charlotte Roche vor der Kamera. Von dort führte sein feuilletonistischer Exkurs weiter zu den Hofer Filmtagen.

„Ich sehe eine große Verbindung zwischen Fußball und Schauspiel“, erklärt Stock. Was ihn kaum vor arbeitsrechtlichen Sanktionen schützen würde, wäre der 40-Jährige ein gewöhnlicher Fußballlehrer. Auch die inspirierende Nähe des Babelsberger Karl-Liebknecht-Stadions zu den benachbarten Filmstudios hätten nicht als Ausrede getaugt.

Doch der Neu-Potsdamer braucht sich keine Sorgen um seinen Job bei dem Babelsberger Verein zu machen, der als „SV Hollywood“ bekannt ist. Der Mann mit dem breiten Mittelscheitel, Torwart-Trainer der Brandenburger, spielt den legalen Doppelpass zwischen Rasen und Leinwand.

„In meinem Vertrag ist fest gelegt, dass ich im ersten Beruf Schauspieler bin. Für Drehtage werde ich freigestellt“, erzählt Stock. Seit Saisonbeginn arbeitet der gebürtige Rheinländer im Liebknecht-Stadion, nachdem er zuvor die Nachwuchskeeper im Kölner Fußball-Internat getrimmt hat. Der Job beim früheren Zweitligisten in Potsdam hat Stock mehr gereizt. „Ich will sehen, wie sich meine Arbeit in der Tabelle auswirkt.“

Sein Gesicht eilte dem Rheinländer in die Mark voraus. Schon beim Auftakttraining tuschelten Spieler, die den Neuen zu erkennen glaubten. Aber woher? Es war die Zeit, als fast jeder Trainer seine Schützlinge zwecks Motivation in den Kino- Hit „Das Wunder von Bern“ schleppte. Stock war stets mittendrin, statt nur dabei – er mimte in Sönke Wortmanns Streifen über die legendären Weltmeister von 1954 den deutschen Torhüter-Heros Toni Turek.

Stock schwärmt von seiner Paraderolle. „Das war eine einmalige Sache, um Film und Fußball zusammenzubringen. Wortmann war davon ausgegangen, dass er keinen Schauspieler findet, der auf hohem Niveau Fußball spielen kann.“ Jo, der gelernte Schauspieler und Keeper aus der „Bunten Liga Köln“, bewarb sich und bekam die „kleine, aber feine Rolle“.

Nach Engagements in TV-Serien wie „SK Kölsch“ oder „Stadtklinik“ bedeutete dies wohl den bisherigen Höhepunkt für sein zweites berufliches Standbein. Sein Musiker-Dasein als Gitarrist der Kölner Rockbands Mono Twins und Cologne City Rockers musste das rheinische Multitalent aus zeitlichen Gründen zurückstellen. „Wir haben überall gespielt, wo eine Steckdose war“, erzählt er. Bis nach Nepal führten ihn die Touren.

Jetzt also Babelsberg. Selbst Showgrößen wie Marius Müller-Westernhagen (Dortmund) oder Herbert Grönemeyer (Bochum) frönen ihrer Liebe für das runde Leder, aber meist nur auf der VIP-Tribüne. So basisnah wie Stock spielt kaum jemand diese Doppelrolle.

„Fußball und Schauspiel haben vieles gemeinsam“, philosophiert der Amateurtrainer. Auch der Übungsleiter auf dem Rasen sei ein Regisseur, „der ein Ensemble zusammenstellt und verschiedene Charaktere unter einen Hut bringen muss“. Und wenn das Spiel erst mal angepfiffen sei beziehungsweise die Premiere laufe, sei es für beide Spezies zu spät, um noch korrigierend einzugreifen. Dann fiebern Trainer und Regisseur mit überhöhtem Puls, dass auch alles gut geht.

Im Januar fehlt Stock seinem SVB in der Vorbereitung auf die Rückrunde wieder für mindestens zwei Drehtage. In „Dean’s Life“, so lautet der Arbeitstitel, verkörpert er den Leiter eines Mediamarktes. In den Hauptrollen werden Mario Adorf und Jürgen Vogel zu sehen sein. Einen Nachteil durch sein Parallel-Engagement im Fußball vermag Stock bei den Casting-Firmen nicht zu erkennen. „Im Gegenteil, viele Regisseure gefällt die Verbindung mit dem Leistungssport und wären selbst gerne Fußballer geworden.“

Andererseits weiß Babelsbergs Torwart-Trainer, was sein Club erwartet. „Wenn ich keinen Erfolg habe“, betont Stock, „würde es mir auch nichts nützen, wenn ich Oliver Kahn in einer Vorabendserie spielen würde.“