PETER UNFRIED über CHARTS
: Mein Freund, der Unparteiische

Erledigte Fälle: Ist selbst der deutsche Schiedsrichter nicht mehr von verlässlicher moralischer Integrität?

Wir mussten dieses letzte Spiel gewinnen. Wir mussten. Und wenn alles mit rechten Dingen zuginge, würden wir es auch. Erstens wäre andernfalls die ganze Schinderei wieder mal umsonst gewesen. Zweitens gab es im Leben nun mal nichts Wichtigeres. Erst wenn man das ganze Jahr nichts anderes in der Birne hat, wenn man unzählige Nächte mit fiebrigem kollektivem Biersaufen und Fantasieren verbracht hat, kann man sich vorstellen, was das für ein wahnsinniger Druck ist, in ein Spiel zu gehen, das darüber entscheidet, ob man aus der untersten in die zweitunterste Liga aufsteigt.

Na ja, nach zehn Minuten lagen wir 0:2 zurück. Gegen eine Mannschaft, die noch viel mieser war als wir, eigentlich. Und für die es um nichts mehr ging, eigentlich. Am Ende hieß es 2:2. Wir waren Zweiter. Punktgleich. Drei Tore schlechter. Die anderen kriegten den Ruhm. Wir hatten den Schmerz. Und wurden ausgelacht. Zu Recht. Wir waren da einfach hingefahren und hatten gespielt. Dabei weiß doch jeder, dass man in einer solchen Situation professionelle Vorkehrungen treffen kann. Immer gern genommen: den Gegner des Konkurrenten mit Hektolitern Bier motivieren. Sicherer ist es selbstredend, wenn man den eigenen Gegner mit Hektolitern Bier motiviert.

Am allerbesten aber ist: Man kennt den Schiedsrichter.

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Ich will hier ja nicht negativ erscheinen oder gar unmoralisch. Aber gerne zugeben, dass ich ein bisschen grinsen muss über die Reaktionen auf den am Samstag bekannt gewordenen Fall eines Berliner Bundesligaschiedsrichters. Der steht im Verdacht, Spiele so geleitet zu haben, dass die Ergebnisse in der Tendenz so rauskamen, wie er sie vorher in Wettbüros getippt hatte.

Alle sind geschockt. Alle haben immer gehofft, dass unser Fußball sauber ist. Oder wenigstens unser Schiedsrichter. Okay, dass deutsche Ministerpräsidenten lügen, bis sie Kanzler sind, dass deutsche Parteien, deutsche Führungskräfte, deutsche Bundestagsabgeordnete und deutsche Arbeitslose nehmen, was sie kriegen können? Normal. Aber dass ein Schiedsrichter unsere deutsche Spielordnung so lange dehnt, bis Paderborn zwei Elfer hat? Das kann selbst der legendäre ZDF-Oberschiedsrichter Eugen Strigel nicht mehr mit „Ermessensspielraum“ erklären.

„Lückenlose“ Aufklärung hat DFB-Pressesprecher Harald Stenger in einer offiziellen Ansprache an die Nation angekündigt, für die man eigens das Fernsehprogramm änderte – oder doch zumindest das des ZDF-Sportstudios. Alles werde offen gelegt – damit unser schöner Fußball da keinen Schaden nehmen kann, sowieso nicht und schon gar nicht im Jahr vor der Fußball-WM, dem wichtigsten populärkulturellen Ereignis des Jahrhunderts auf deutschem Boden. Hören Sie: So was passt jetzt aber wirklich grade ganz schlecht.

Wichtig bei dieser lückenlosen Aufklärung wird sein, dass es sich – wie letztlich auch beim Zweiten Weltkrieg – bei diesem „massiven Skandal“ um „das Fehlverhalten eines Einzelnen“ handelt, wie Fußballpublizist Paul Breitner bereits gestern im Auftrag von BumS ermittelt hatte. Darüber sollten die Lobbyisten der Fußballindustrie schnell Einigkeit erzielen. Nicht dass noch jemand auf die Idee kommt, es gebe womöglich grundsätzliche Probleme im professionellen Fußball mit moralischer Integrität, z. B., dass unmittelbar Beteiligte irgendwie mit großen Wetteinsätzen in Verbindung stehen.

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Was uns betrifft, so soffen und fantasierten wir weiter. Besorgten uns aber in einem professionellen Moment einen neuen Trainer. Der war, und das ist jetzt wirklich lustig, gleichzeitig Spitzenschiedsrichter und Schiedsrichterobmann. Wir mussten dann das letzte Spiel gewinnen. Zufälligerweise kam ein Schiedsrichter, der gleichzeitig der Linienrichter unseres Trainers war. Wir gewannen 1:0 und stiegen auf. Und das Schönste: Alles ging mit rechten Dingen zu. Außerdem hatten wir es verdient.

Fotohinweis: PETER UNFRIED CHARTS Spielentscheidende Fragen? kolumne@taz.de MORGEN: Bernhard Pötter über KINDER