Mehr Wirbel als hundert Demos

Die Aufregung über die Äußerung vom „Bomben-Holocaust“ ist für die NPD kostenlose Werbung. Daher planen die Nazis schon die nächste Provokation

VON ASTRID GEISLER

In rechtsextremen Kreisen herrscht Jubelstimmung: Besser hätte die Kampagne zum Auftakt der bevorstehenden Jahrestage 60 Jahre nach dem Kriegsende für die NPD gar nicht anlaufen können. „Einfach Spitze“ sei der gezielt provozierte Eklat im sächsischen Landtag am Freitag gewesen, frohlockten NPD-Sympathisanten am Wochenende in einem einschlägigen Neonazi-Internetforum. Die Aktion sei so kurz vor den Wahlen in Schleswig-Holstein „auf alle Fälle hervorragende PR“, schließlich habe sie „mehr Wirbel gemacht als hundert Demos“ in der Vergangenheit.

Nichts als demonstrative Siegerlaune auch in der NPD-Zentrale. Von solch einem öffentlichen Wirbel habe seine Partei gar nicht zu träumen gewagt, beteuerte NPD-Sprecher Klaus Beier: „Da können wir uns bei den politischen Gegnern wirklich nur bedanken.“

Was war geschehen? Der NPD-Parlamentarier Holger Apfel hatte in einer Landtagsdebatte am Freitag die britisch-amerikanischen Bombardierung Dresdens im Frühjahr 1945 als „Bomben-Holocaust“ bezeichnet. Während einer Schweigeminute für die Opfer des Nazi-Regimes verließen die NPD-Abgeordneten außerdem kollektiv das Plenum. Das Verhalten löste einen Sturm der Entrüstung aus – über alle Parteigrenzen hinweg. Selbst Joschka Fischer befleißigte sich am Sonntag vor seinem Abflug zu einer UN-Sondergeneralversammlung anlässlich der Befreiung des KZ in Auschwitz, den Vorfall in seiner Funktion als Vizekanzler und Außenminister auf Regierungsbriefpapier zu kommentieren: Der Auftritt der NPD sei „eine Schande für unser Land und ein Angriff auf unsere Demokratie“, verkündete er in einer Presseerklärung. „Dies muss Konsequenzen haben.“ Bloß welche?

Fischers schriftliche Forderung lautete: „Es müssen alle Möglichkeiten ausgeschöpft werden, eine Wiederholung solcher volksverhetzender Auftritte zu verhindern.“ Der Satz lässt sich durchaus als Plädoyer interpretieren, notfalls beim Bundesverfassungsgericht erneut einen NPD-Verbotsantrag zu stellen.

Mit dieser Forderung stünde Fischer in der rot-grünen Koalition knapp zwei Jahre nach der Blamage vor dem Bundesverfassungsgericht jedoch ziemlich allein. Innenminister Otto Schily ließ jedenfalls am Wochenende erkennen, dass er es nicht auf ein neues Verfahren in Karlsruhe anlegt. Der SPD-Minister warnte stattdessen lieber allgemein vor der Ausbreitung rassistischen Gedankenguts unter Jugendlichen. Bislang einziger semiprominenter Verfechter eines Verbotsantrags: der sächsische PDS-Fraktionschef Peter Porsch.

Bei Fachleuten wie dem Rechtsextremismusforscher Eckard Jesse löste die neue Debatte um ein mögliches NPD-Verbot nicht viel mehr als Kopfschütteln aus. Das Szenario sei „völlig unrealistisch“, urteilte der Politologe: „Der Staat kann es sich nicht leisten, ein zweites Mal eine solche Panne vor dem Bundesverfassungsgericht zu erleben.“

Die NPD hat das offensichtlich längst kapiert, jedenfalls verfolgt sie seit Monaten ungeniert einen Kurs der Radikalisierung. Zur Zeit des Verbotsverfahrens in Karlsruhe war die Parteispitze ganz bewusst auf Distanz zur militanten Kameradschaftsszene gegangen. Heute hingegen rühmen die NPD-Strategen ihre neue rechtsextreme „Volksfront“ mit den gewaltbereiten Straßenkämpfern. Mit Thorsten Heise schaffte ein einschlägig vorbestrafter Neonazi-Führer den Sprung in den NPD-Vorstand. Abgrenzungsbeschlüsse gegen die prominenten Kameraden Christian Worch und Steffen Hupka wurden aufgehoben. „Unsere Freiräume“, versichert NPD-Bundesgeschäftsführer Frank Schwerdt, „werden wir voll nutzen.“

Und die Möglichkeiten zum öffentlichkeitswirksamen Tabubruch mit Sicherheit auch. An historisch bedeutsamen Anlässen wird es den Rechtsextremen in den kommenden Monaten jedenfalls nicht fehlen. Bereits am 13. Februar hofft die NPD, beim „Trauermarsch“ für die Opfer des „Alliierten Bombenterrors“ in Dresden wieder Schlagzeilen zu machen. Der Schirmherr des Aufmarschs hat sich erst am vergangenen Freitag als talentierter Provokateur empfohlen. Er heißt Holger Apfel.