Realität ist machbar

In ihrem Wahlprogramm stellen die Grünen in Schleswig-Holstein 15 typische Wähler vor. Alle Personen sind frei erfunden. Das ist vielleicht nicht wirklich schlimm. Ein bisschen peinlich ist es schon

von Daniel Wiese

„Du sollst kein falsch Zeugnis ablegen“, heißt es. Was die Grünen in Schleswig-Holstein getan haben, ist aber ganz was anderes. Die 15 Personen, die sie in ihrem offiziellen Wahlprogramm für grüne Politikziele werben lassen, legen kein falsches Zeugnis ab. Die Zeugen selbst sind frei erfunden.

„Wir haben im Urlaub Schweinswale gesehen und Robben und einen Seeadler. Ganz nah. Das glaubt mir in der Klasse keiner“, sagt da etwa „Franziska Feldlang (7), Bottrop“. Die Schülerin hat offenbar die Ferien an Nord- oder Ostsee verbracht und ist nun ganz hingerissen von der dortigen Tierwelt, die, so wird suggeriert, auch ein Erfolg der grünen Politik in Schleswig-Holstein ist. Wenn es diese Schülerin allerdings gar nicht gibt, ist klar, warum ihr das in der Klasse keiner glaubt, denn die Klasse existiert dann ja auch nicht.

Als „ärgerlich, dass wir nicht klar genug deutlich gemacht haben, dass es fiktive Stimmen sind“, stuft der schleswig-holsteinische Landesvorstandssprecher der Grünen, Robert Habeck, den Vorgang ein. Bereits am Samstag wurde publik, dass der Kieler Grünen-Geschäftsführer Dirk Langolf gegenüber der Welt zugegeben hatte, die Personen im Wahlprogramm seien frei erfunden. Man habe das Programm „lebendiger gestalten“ wollen, sagte Langolf.

Mit wenig Humor reagierten die Politiker der schleswig-holsteinischen Opposition. Die Grenzen seien „definitiv überschritten“, kritisierte FDP-Spitzenkandidat Wolfgang Kubicki die Aktion. Und der Wahlkampfkoordinator der Landes-CDU, Jörg Max Fröhlich, stellte knallhart die Wahrheitsfrage: „Wenn schon die Einleitung des grünen Wahlprogramms gefälscht wurde, fragt man sich, was am grünen Wahlprogramm überhaupt wahr ist.“

Harte Worte, die Landesvorstandssprecher Habeck so nicht auf den Grünen sitzen lassen will. „Ärgerlich“ sei auch, „dass uns unterstellt wird, wir hätten absichtlich versucht, die Wähler zu täuschen.“

Vielmehr handele es sich bei den inkriminierten Seiten des Wahlprogramms um „eine andere Form von Textgattung, die weggeht vom politischen Jargon“. Besonders deutlich wird dieser Ansatz bei Kandidat Nummer 6, „Egon Feddersen (47), Landwirt“: „Fröher weer ik de Buer mit de grötsten Kantöffeln. Hüt ward ni sprüt und dat gibt keen Kunstdünger.“ Politischer Jargon geht anders.

Trotzdem hätten die Grünen bei dem Versuch, Politik lebendiger zu gestalten, noch konsequenter vorgehen können. So wurde darauf verzichtet, zu den Texten der 15 Parteifans Fotos abzudrucken. Nichts ist besser geeignet als Fotos, um Inhalte „zu individualisieren und zu konkretisieren“ (Landesvorstandssprecher Habeck). Und Probleme mit den Bildrechten hätte es auch keine gegeben.