Eine rustikale Sünde im Vollmultikultiparadies

Jan Feddersens Gastrokritik: Das Petite Europe ist dem Namen zum Trotz ein Italiener in Schöneberg mit alles in allem vorzüglicher Küche

Schöner essen, okay, aber dass man dafür weite Wege bewältigen muss: Wo steht das geschrieben? Im Grunde wollen wir meist nichts als ein ordentliches Gasthaus in Minutennähe, solide im Preis und übersolide in der Appetitlichkeit der Gerichte. Schönebergs Menschen rund um die Langenscheidtstraße, inmitten grünalternativen Kernbestands, dürfen sich glücklich schätzen, einen solchen Raum nah zu wissen: Das Petite Europe am U-Bahnhof Kleistpark, nicht mal auf der guten Seite, sondern noch im Vollmultikultiparadies links der Hauptstraße. Man versteht sich auf italienische Küche mit rustikalem Appeal. Bis zum frühen Abend wird das außergewöhnlich gelungen (Kaffee, Gebäck, Frühstücksbrote) von einem Café flankiert.

„Steinofenpizza“ lautet das Zauberwort auf der ersten Seite der Speisekarte – als ob das eine besondere Güte garantiere: Gewiss jedoch sind die Teigfladen mit was drauf hier hübsch gelungen – von Rucola über Kapern, Tomaten und Paprika sowie Dies & Das. Verraten werden muss, dass halbe Portionen nicht nur bestellbar sind, sondern die ganze auch viel zu viel für alle wäre, die nicht völlig ausgehungert in den Laden eingefallen.

Man sitzt in einem wirklich gemütlichen Ambiente: Hängt es mit den durchweg aufgeräumt wirkenden, allen Hartz-IV-Sorgen zum Trotz gut aufgelegten Menschen zusammen, die im Petite Europe ihr, vielleicht, zweites Wohnküchenzimmer suchen und finden? Das Interieur ist schwer zu beschreiben: ein bisschen von allem, Stühle und Tische hölzern, ein wenig im Stil skandinavischer Regale, stets scheint es, als fehlten nur Gummibäume und Zimmerazaleen zur Perfektion. Zu ihr gehört eindeutig, dass vor den Gerichten schmackhaft-feste Weißbrötchen gereicht werden, leider ohne Butter, um den Mindesthunger mit guter Fettportion zu lindern.

Wir aßen von der Wochenkarte, Salate gibt es dort meist, mit dem Fokus auf den durch Alfred Biolek popularisierten Salat namens Rucola. Die Medaillons mit Schinken, überbacken mit knusprigem Parmesan: auf gar keinen Fall enttäuschend; auch die gegrillte Putenbrust, umgarnt von knoblauchgesättigten Spaghetti war eine Sünde wert. Vom Nebentisch war zu hören, man schwöre ja auf Sex, hat man erst mal gut im Petite Europe gut gegessen. Es klang fröhlich, lebenspragmatisch gut. Gönnen Sie sich auch was Erotisches, tuscheln Sie Ihrem Gegenüber ein „Wir gehen jetzt zu dir, da wirst du dein Wunder erleben“ zu, das bewirkt, isch schwör, schöne Post-Gastro-Allianzen.

Und noch dies: Das Eis, etwas ertränkt im Marsalawein, ist vorzüglich. Dann kann der Abend weitergehen.

PETITE EUROPE, Langenscheidtstr. 1, 10827 Berlin, Fon (0 30) 7 81 29 64; 17–1 h täglich; Hauptgerichte 6,50–10 €; Leitungswasser gratis auf Wunsch; der Hauswein ist sehr gut trinkbar; Tischvorbestellung am Wochenende nötig