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: HELMUT HÖGE über die Grüne Woche

Wann schlägt Qualität wieder in Quantität um?

Die Hohe Technik, wie sie gerade genealogisch von Lutz Dammbeck mit seinem Film „Das Netz“ ins Visier genommen wurde, ist auch Thema der diesjährigen Grünen Woche – in ihrer Auswirkung auf die Landwirtschaft natürlich. Pionier auf diesem Gebiet war und ist die LPG in Golzow im Oderbruch, zu der inzwischen auch noch eine ukrainische Kolchose gehört und die als eine der ersten Agrarindustriebetriebe nach der Wende ihre tschechischen Agrarflugzeuge abschaffte, mit denen sie bis dahin die Großflächen gedüngt und gespritzt hatte – um fürderhin mit dem Ground Positioning System (kurz: GPS) zu arbeiten. Das sei sparsamer und damit auch ökologischer, sagten sie. Denn nun kämen Dünger und Pestizide bzw. Insektizide nur noch dahin, wo sie wirklich fehlten.

In den Ställen wurden die Kühe computertechnisch erfasst, und draußen gab es bald computerisierte Düngestreuer, die während des Einsatzes Stickstoffproben nahmen und die Daten via Display dem Fahrer in der Traktorkabine zur Verfügung stellten. In summa wurden die Traktoren dadurch aber so mit Hochtechnologie voll geknallt, dass die Kabinen bald Cockpits ähnelten – und es wie eine Erleichterung wirkte, als man in einem nächsten (Fort-)Schritt den landwirtschaftlichen Arbeitsplatz weg vom Traktor in einen Haus-PC verlegte. Draußen wurden dazu die entsprechenden Selbstfahrgeräte entwickelt, die der Bauer fortan per Joystick vom Schreibtisch aus steuern konnte.

Damit wurde erneut ein Stück Stadtkultur aufs Land verpflanzt. Jetzt verbringen sie auch dort ihren Arbeitstag am Bildschirm und können bereits auf Agrarmessen verkünden: „Landwirtschaft und Hightech vertragen sich gut.“ Selbst die Verbände der „Landfrauen“ definieren sich nicht mehr über „Agrar“, sondern über „den ländlichen Raum“ – und nennen sich „IT-Landfrauen“. In den Ställen hielt derweil das „Volvo-Modell“ Einzug: Statt immer höhere Milchleistungen bei sinkender Lebensverwertungszeit in immer größeren Herden zu erzielen, teilte man die Kühe in Leistungsgruppen ein und programmierte die Melkroboter so, dass jetzt ein „selbstbestimmtes Abmelken“ möglich ist.

Einige Agrarforschungsinstitute fanden heraus, was die Sozialismuskritiker schon immer geahnt hatten: dass Selbstbestimmung gleich Rückgang der Milchleistung (plus Aufsässigkeit) bedeutet – allerdings fanden ihre Experimente nur bei Tieren in „naturgerechter Haltung“ statt. Ähnlich kapitalverwertungsselig wie weiland der Verhaltensforscher Konrad Lorenz beim Streit um die Legebatterien argumentierte dann die Veterinärin Anita Idel: Die hohe Leistung ist „Garant“ (Indikator?) für das Wohlbefinden der Nutztiere.

In der Praxis wird jedoch nicht selten eine andere Rechnung aufgemacht. „Uns geht es um die Lebensleistung“, sagen z. B. die mecklenburgischen Milchbauern Wilhelm und Anne von den Anfängen ihrer Landwirtschaft nach der Wende – „Lieber nach Osten“ lautet der Titel einer Filmdokumentation über sie.

Ansonsten sind die Bauern im ländlichen Raum eine Minderheit geworden. Ihre letzte Fruchtfolge hieß und heißt oft genug Bauerwartungsland, Gewerbegebiet, Golfplatz oder Windkraftanlagen (WKA). Aus Letzteren sind inzwischen ganze „Parks“ geworden. Anfänglich mussten die WKAs zwecks Einspeisung ins Netz noch quasi von unten gegen die Stromkonzerne gesetzlich durchgesetzt werden. Inzwischen gibt es in München und Stuttgart schon ganze Fondsgesellschaften, die großes Kapital akquirieren und mit ihren Windparks die Landschaften von oben verspargeln.

Gegen diese Dialektik ziehen immer öfter regionale Protest-Inis zu Felde – denn die Landhäuser im Windschatten der WKAs sind fast unverkäuflich. Vielleicht kämpfen sie gegen Windmühlenflügel? Auf der Grünen Woche wird man jedenfalls auch dieses unschöne Umschlagen von der Quantität in die Qualität thematisieren.