der fluch der unglücksente von JOACHIM SCHULZ
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Schlecht ist der Ruf der Raben. Sie gelten als Unglücksboten ersten Ranges, und ihr bloßes Erscheinen versetzt die Menschen in Angst und Schrecken. Sieht man sie um den Kirchturm kreisen, dann – so die Volksweisheit – sollte man sich auf baldiges Ungemach einstellen und schleunigst eine Lebensversicherung abschließen.

Doch das ist alles Kokolores, denn in Wahrheit ist noch niemand beim Blumengießen von einem Balkon im achten Stockwerk gefallen, bloß weil ein paar Raben auf einem Dachfirst schräg gegenüber beim Klönschnack zusammensaßen.

Ein wirklich verderbenbringendes Biest hingegen ist ein bislang als harmlos geltender Vogel, und das erfahre ich, als ich auf dem Nachhauseweg aus der Stadt am Fluss entlangradle und dreißig Meter vor mir eine Entendame die Flügel schwingt, um in die Lüfte zu starten. Sie hebt ab und fliegt los, gewinnt aber kaum an Höhe, und das ist insofern unerfreulich, als sie mir direkt entgegenflattert. „Höher!“, denke ich: „Höher, Ente!“, und sie müht sich redlich, bleibt jedoch auf Kollisionskurs. „Ente, was tust du?!“, schreie ich: „Dreh ab! Dreh ab!“

Die Ente indes scheint dasselbe von mir zu erwarten, und jetzt ist es zum Bremsen zu spät: Ich ducke mich auf den Lenker hinunter, doch trotzdem erwischt mich der Entenbürzel am Hinterkopf, so dass ich – aus dem Gleichgewicht gebracht – fast in den Fluss hineinrausche. „Blödes Dämeltier!“, fluche ich, doch auch die Ente schimpft heftig quakend, und wenig später weiß ich, dass es sich dabei um bösartige Verwünschungen gehandelt haben muss.

Kaum bin ich zu Hause angekommen, kaum kocht das Kaffeewasser, schlägt das Verhängnis zu. Ich habe gerade den ersten Schwapp Wasser über den guten Guatemala Grande gegossen, da beginnt der Filter auf einmal zu wackeln. „Nein!“, bitte ich und versuche ihn festzuhalten, doch bevor ich ihn erwische, kippt er vollends, und so ergießt sich die schwarze Brühe über Tisch und Tapete und leider auch über meine Hand. „Waah!“, mache ich und eile ins Bad, um die Hand unter fließendem Wasser zu kühlen. Zugleich wühle ich im Spiegelschrank nach der Aloe-Wundersalbe, die die Liebste kürzlich besorgt hat. Da aber knirscht es plötzlich, und einen Lidschlag später rummst der Schrank ins Waschbecken, so dass ich vor Schreck rückwärts taumle, in die Badewanne falle und mit voller Wucht aufs Steißbein krache.

In dieser Position findet mich die Liebste, die kurz darauf nach Hause kommt. „Gute Güte!“, sagt sie: „Was ist denn hier passiert?“ – „Es ist der Fluch der Unglücksente!“, ächze ich und erzähle ihr die Geschichte. „Unglücksente, aha, soso …“, sagt sie und blickt mich an, als ob sie befürchtet, dass ich mir nicht nur das Steißbein geprellt haben könnte.

Ich aber weiß genau, dass ich nicht spinne, auch wenn mir kein Unglück mehr widerfährt. Denn logischerweise findet es eine wahrhaft perfide Unglücksente sehr viel lustiger, mich vor der Liebsten zum Deppen zu machen, als mich zum Beispiel beim abendlichen Müllraustragen von einem herniederstürzenden Meteor in die ewigen Jagdgründe befördern zu lassen. Moment mal?! Was ist denn das eigentlich da für ein grelles Licht am Himmmmmmmmmm…