Die Show der Youngsters

Mit dem 28:25-Sieg im Auftaktspiel der Weltmeisterschaft gegen Ägypten hat das neu formierte Team der deutschen Handballer einen großen Schritt zum Erreichen der Zwischenrunde getan

AUS SOUSSE FRANK KETTERER

Der Anfang war vollbracht, und als sie ihn geschafft hatten, stellten sich die deutschen Handballer auf zu einem kleinen Kreis, packten sich gegenseitig an den kräftigen Schultern und hüpften ausgelassen umher wie eine Rasselbande im Vorschulalter. Man hatte das in den letzten Jahren ja schon des Öfteren gesehen von diesen großen, starken Männern, und jedes Mal, wenn sie den Ringelreihen aufführten, gab es einen schönen Erfolg in einem großen Spiel zu feiern, meistens waren sie dann mal wieder in irgendein Finale vorgedrungen. Am Sonntagabend in Sousse konnte vom Endspiel keine Rede sein, fast könnte man sagen, dass ein bisschen das Gegenteil passiert war: Die Deutschen hatten nämlich nicht mehr als ihr Auftaktmatch gewonnen bei dieser Weltmeisterschaft in Tunesien, mit 28:25 gegen Ägypten, aber wie viel ihnen dieser Sieg bedeutete, war unschwer zu erkennen an der ausgelassenen Art, in der sie ihn feierten.

Nun ist es nicht ganz gewöhnlich, dass eine Mannschaft, die in den letzten Jahren zu den besten der Welt zählte und seit drei Jahren in jedem großen Finale mit von der Partie war, sich derart über einen Sieg gegen Ägypten berauscht. Andererseits muss man das verstehen, denn die Mannschaft, die da im „Salle Olympique“ zu Sousse auflief, hatte so gut wie nichts mehr gemein mit den Helden, die zuletzt noch Silber gewonnen hatten bei Olympia. Die Spieler Kretzschmar, Schwarzer, Petersen, Zerbe und Dragunski sind zurückgetreten nach Athen, Stephan, Baur, Fritz und Immel fehlen bei der WM verletzungsbedingt; im Prinzip fehlt der deutschen Mannschaft in Tunesien gleich neunmal Weltklasse. Das ist mehr, als eine Handballmannschaft Spieler hat.

„Wir wussten überhaupt nicht, wo wir stehen“, sagte entsprechend Florian Kehrmann, der der letzte Mohikaner im Team ist, der bei all den Erfolgen der jüngeren Vergangenheit dabei war. Kehrmann sagte nach dem Auftaktsieg auch: „Ich bin sehr erleichtert. Alle sind erleichtert.“ Und so einigten sie sich auch alle darauf, dass man mit diesem WM-Start zufrieden sein könne. Der Bundestrainer Heiner Brand war sogar „sehr zufrieden mit dem ersten Spiel“, schließlich hatte es auch für ihn einen „Schritt ins Ungewisse“ dargestellt.

Nach dem Spiel gegen Ägypten dürfte der 52-Jährige zumindest fürs Erste über ein paar Gewissheiten mehr verfügen. Jene zum Beispiel, dass es dem ein oder anderen Routinier im neu zusammengebastelten Team deutlich schwerer fiel, seine Rolle auszufüllen, als ebenjenen Youngsters, die Brand mehr oder weniger ins kalte WM-Wasser warf. Frank von Behren beispielsweise, mit nunmehr 127 Länderspieleinsätzen einer der alten Hasen, blieb erneut den Beweis schuldig, dass er in der Lage ist, eine führende Rolle zu übernehmen. Zwar stabilisierte der Gummersbacher zumindest in der zweiten Halbzeit den Abwehrblock, im Angriff aber setzte der Mann aus dem Rückraum kaum Akzente. Auch Oleg Velyky, der eingebürgerte Ukrainer, blieb dort erstaunlich blass, konnte dies aber immerhin mit einer gerade überstandenen Magen-Darm-Grippe entschuldigen. Christian Zeitz wiederum fiel in erster Linie durch die hohe Zahl seiner Fehlwürfen auf; Steffen Weber hingegen erfüllte seine Rolle als Spielmacher wie immer im Rahmen seiner Möglichkeiten, was heißen soll: solide, aber auch nicht mehr. Und Pascal Hens, einer von Brands Hoffnungsträgern, wurde bereits nach zwei Minuten Spielzeit zum Fall für die medizinische Abteilung. Für den Hamburger war die Weltmeisterschaft wegen eines Muskelfaserrisses an der Wade damit schon am ersten Tag beendet.

So sorgten in erster Linie jene für positive Überraschungen, von denen man es nicht unbedingt hatte erwarten dürfen – die Unerfahrenen. Oliver Roggisch beispielsweise zeigte in seinem zwölften Länderspiel, dass er bei der Neuformierung des deutschen Abwehrblocks ein wichtiger und stabiler Baustein werden kann; Holger Glandorf bot sich im rechten Rückraum als Alternative mehr als an, und das nicht nur wegen seiner vier Tore. „Das ging besser, als ich dachte“, war der 21-Jährige aus Nordhorn hernach mit sich und der Welt zufrieden, obwohl er vor seiner ersten WM-Partie nicht nur an einer Rückenverletzung litt, sondern extrem nervös war. „Der war den ganzen Tag aufgedreht“, wusste jedenfalls Glandorfs Zimmermitbewohner Florian Kehrmann zu berichten, fand aber auch: „Das hat ihm wohl ganz gut getan auf dem Spielfeld. Er hat jedenfalls ein tolles Spiel gemacht.“

Welch immensen Druck eine solche WM einem Spieler aufbürden kann, musste Torhüter Johannes Bitter erfahren, erst 22 Jahre alt auch er. „Das war mein erstes großes Spiel, und ich war unglaublich nervös“, gab der Magdeburger zu, entsprechend musste er erst in die Partie finden: Wehrte der 2,04-m-Riese in der ersten Halbzeit lediglich drei Torwürfe ab, waren es in Durchgang zwei schon passable acht.

Ein Entwicklungsprozess, vor dem möglichst das ganze Team stehen soll. „Jedes Spiel ist eine Weiterentwicklung, in jedem Spiel kann die Mannschaft nur lernen“, sagte jedenfalls Torsten Jansen, der Mann von der linken Seite. Auch Florian Kehrmann findet es völlig normal, „dass bei so einer jungen Mannschaft noch nicht alles klappt“. Durchaus „einiges Steigerungspotenzial“, hat auch Steffen Weber erkannt.

Immerhin: Mit dem Sieg zum Auftakt hat die deutsche Mannschaft Platz drei ihrer Vorrundengruppe und damit die Zwischenrunde schon so gut wie erreicht; Siege gegen Brasilien (gestern nach Redaktionsschluss beendet) oder morgen gegen Katar waren trotz allen Umbruchs nicht zu befürchten, die härteren Brocken kommen erst danach mit Norwegen und Serbien-Montenegro. Mal sehen, ob die deutsche Mannschaft auch dann noch Ringelreihen tanzt.