Agitation

Hübsche Paradoxien: The Projects spielten im Bastard. Eine Band, die ihre Konsumkritik beim Wort nimmt

„Indie-Pop aus London“, mehr verriet die Ankündigung für The Projects am Montagabend im Bastard nicht. Wer zuvor nicht zu sehr im Dustern tappen mochte, musste das Internet bemühen. Dort stand dann, The Projects sei die neue Band der ehemaligen Stereolab-Keyboarderin Morgane Lhote. Als Mix aus dem kämpferischen Punk-Funk von Gang Of Four und den retrofuturistischen Sixties-Fantasien Lhotes alter Band wurde die Musik beschrieben. „Superpop für die elegant unzufriedene Jugend der Großstadt.“

Möglicherweise also genau das Richtige für einen bitterkalten Abend mit rutschigen Bürgersteigen. Kurzum: The Projects sahen sich am Montagabend im Bastard ganzen 50 Zuschauern gegenüber. „Noch so ’ne „The“-Retroband!“, hatten wohl zu viele gestöhnt, ohne den Trick im Namen zu bemerken: Das Wort „Projects“ lässt immerhin an das Modell der jederzeit aufkündbaren Zweckgemeinschaft denken. In Kombination mit dem sonst stets echten Familien oder wenigstens eingeschworenen Blutsbrüderschaften vorstehenden „The“ ergibt das ein hübsches Paradoxon.

Genau so paradox wirkten The Projects dann bereits optisch: Der Schlagzeuger trug BWL-Chic, der Bassist wirkte mit seinem engen Hemd und modernem Vollbart wie ein fünfter Franz Ferdinand, der Gitarrist mit abgelatschten Converse eher wie ein Skater, die Sängerin mit ihrem rosafarbenen Mikrokleid wie ein Sixties-Girl. Dazu hinter ein paar Synthesizern noch ein junger Mann mit pechschwarzer Electroclash-Frisur. Ja, er musste sich vom Publikum anstarren lassen, schien er doch unmöglich die blonde Morgane Lhote sein zu können! Bevor dies jedoch allzu viel Verwirrung stiften konnte, preschten The Projects bereits im Affenzahn mit hübsch sprunghaften Songs vor, zu denen Sängerin Lisa Rosendahl mit entschlossener Stimme Kapitalismus-, Gesellschafts- und Medienkritik vortrug.

Dass vor der Bühne kein großes Gedränge herrschte, verlieh dem zur Agitation gedachten Refrain „If there are more of us, will it be better?“ sogar einen unerwartet akuten Twist. Der Vergleich mit Gang of Four schien angesichts der forschen Rhythmusgruppe tatsächlich nicht allzu weit hergeholt, auch dass sich ein Song „Entertainment“ nannte, genauso wie 1979 das erste Gang-of-Four-Album, schien den Verdacht einer Verwandtschaft zu stützen. Begleitet von Miss-Marple-Spinett-Akkorden und rasendem Discobeat sang Rosendahl dann von „Ulysses In The Supermarket“: eine James Joyce verpflichtete Meditation darüber, dass das Leben so rasant vorüberzieht, während man beim Einkaufswagenschieben noch darüber sinniert. Das wusste dem Publikum im Bastard so gut zu gefallen, dass sich The Projects noch auf eine kleine Zugabe einließen.

Danach folgte kein verschämt gemurmelter Hinweis auf tolle neue Fan-Artikel. Eine Band, die sich mit ihrer Konsumkritik selbst beim Wort nimmt: wie selten, wie sympathisch, wie selbstmörderisch. So konnte dann auch die Neuigkeit, dass Morgane Lhote die Band vor kurzem verlassen hat, nicht mehr schockieren. Irgendwie sei sie nicht mehr so richtig glücklich gewesen mit The Projects, wusste der Bassist zu erzählen. Sie habe sich aus London vorerst nach New York abgesetzt. Die Arme: Dort soll es derzeit ja noch kälter sein als in Berlin. JAN KEDVES